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Willkür

Willkür

Titel: Willkür
Autoren: Gary Disher
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Willkür
    Ein Wyatt-Roman
    Garry Disher

    EINS

    Gegen Mittag am Tag eins der ›Operation Mesic‹ erschien dieser Typ auf der Bildfläche. Er fuhr einen roten Ford Capri mit heruntergelassenem Verdeck und Wyatt beobachtete, wie er den Wagen am Bordstein parkte, sich aus dem Sitz schälte, schnellen Schrittes auf das Tor des Anwesens zuging und der Gegensprechanlage im Mauerpfosten sein Gesicht präsentierte. MESIC prangte über der Sprechanlage, in roten schimmernden Mosaiksteinen, die der Typ jetzt sachte mit den Fingern berührte, als wären sie Glücksbringer. Ein leichter Ruck, das Tor schwang auf und er betrat das Grundstück. Der Typ war um die dreißig, eine jener obskuren, fahrig-nervösen Erscheinungen, die sich in der Hauptsache von Kaffee und Gerüchten ernährten. Der Wagen, das teure Jackett und die Designerjeans — Wyatt zählte eins und eins zusammen und kam zu dem Schluss, dass dieser Mann den Mesics von Nutzen war und umgekehrt.
    Die Mesics — Schmalspurganoven mit hochfliegenden Plänen, deren Anwesen Wyatt durch das Heckfenster seines Mietwagens beobachtete. Er hatte ihn mit dem Heck zum Tor geparkt und saß jetzt auf dem Rücksitz, um den Eindruck zu zerstreuen, er wolle etwas auskundschaften. Überhaupt, der Volvo hatte sich als ausgezeichnete Idee erwiesen; er passte perfekt in die Umgebung und Wyatt war sicher, dass er kein Aufsehen erregen werde. Die Anwohner von Templestowe, ob kriminell oder bürgerlich, bevorzugten Volvos, Saabs und dergleichen Marken.
    Das hier war Wyatts zweiter Anlauf, die Mesics zu observieren. Vor zehn Monaten hatte er schon einmal vor dem Tor gestanden, beherrscht von dem Gedanken, irgendwie auf das Grundstück zu gelangen. Doch seinerzeit war er ein wandelnder Steckbrief, flüchtige Beute für sämtliche Polizeieinheiten Victorias und alle Kopfgeldjäger des Landes. Also hatte er beschlossen, sich erst einmal aus dem Staub zu machen. In Queensland dann überfiel er eine Bank, tötete insgesamt zwei Männer und opferte ein kleines Vermögen für eine Frau, um ihr die Flucht ins Ausland zu ermöglichen. Die Folgen waren zehn Monate Warten auf bessere Zeiten, in denen er von der Hand in den Mund leben musste.
    Doch jetzt hatte sich die Lage entspannt und er war wieder in Melbourne, um die Mesics dranzukriegen. Das Grundstück sah immer noch aus, als sei es erst gestern aus einem Hektar Brachland gestampft worden; eine künstlich aufgeschüttete Terrassenlandschaft, in der sich junge Bäume, eine im Sonnenlicht schimmernde Garage aus Aluminium und zwei einfallslose Backsteinwürfel verloren. Das Ganze hätte gut in einen Katalog für Ferienanlagen am Mittelmeer gepasst, wäre da nicht dieser drei Meter hohe elektrische Zaun gewesen, der das Anwesen umgab.
    Wyatt sah, dass im ersten Haus die Vordertür aufging. Oben, am Treppenabsatz, erschien eine junge Frau. Sie wirkte verwöhnt, unzufrieden, fuhr mit ruhelosen Händen über ihren Körper — über Hüften, Oberschenkel, Brust, Ärmel, den Kragen, den Saum des Rockes. Während sie so dastand und ihre Gestalt erforschte, zauberte die Sonne Lichtreflexe auf das dichte mahagonibraune Haar, das in großzügigen Wellen über die Schultern fiel. Als der Mann die Stufen heraufkam, entspannten sich ihre Züge. Sie berührte seinen Arm und führte ihn ins Haus.
    Sonst war niemand zu sehen. Zwar waren kurz zuvor Reinigungskräfte der Firma Dustbusters da gewesen, doch Wyatt hatte weder einen Wachdienst noch Kinder oder Hausangestellte entdecken können, die ihm in die Quere kommen könnten. Gut so, denn er war nicht versessen darauf, eine Armee gegen eine Armee antreten zu lassen. Es sah also nach einem leichten Unterfangen aus — wenngleich Wyatt diesen Job in jedem Falle durchgezogen hätte. Ihn interessierte lediglich das Wie und Wann. Schließlich bunkerten die Mesics da drüben sein Geld. Sie hatten keine Ahnung, dass es sich um sein Geld handelte, doch das beeindruckte Wyatt herzlich wenig. Vor etwas mehr als zehn Monaten hatte er in der roten Dreckswüste Südaustraliens einen Überfall auf einen Geldtransporter organisiert, mit dem Ergebnis, dass ihm die Beute von einem Typen abgejagt wurde, der seinerseits den Mesics einen Haufen Geld schuldete. Im Anschluss gab es nicht nur viel Ärger, sondern auch einige Tote, und jetzt wollte Wyatt nur sein Geld. Verdammt viel Geld. Mehr als dreihunderttausend Dollar. Genug, um ihn fürs Erste zu sanieren, genug, um es ihm zu ermöglichen, wieder eine Farm zu kaufen, von wo aus
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