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Willkür

Willkür

Titel: Willkür
Autoren: Gary Disher
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dass nun die Innenbeleuchtung des Wagens angehen müsse, doch alles blieb dunkel. Sie hatten einen Profi geschickt. Er wartete weiter.
    Es war eine Frau. Im Nu war sie aus dem Laser geschlüpft und stand, dicht an die Wand gepresst, neben seiner Zimmertür. Sie trug enge schwarze Jeans und ein T-Shirt. In der Hand hielt sie eine Waffe mit Schalldämpfer.
    Fragmente einer Erinnerung setzten sich nach und nach zu einem Bild zusammen, zu dem Bild einer schlanken, schwarzen weiblichen Gestalt. Vor etwa zehn Monaten wurde er von einem Mann, mit dem er hin und wieder zusammengearbeitet hatte, an eine kriminelle Clique aus Sydney verraten, auch das Syndikat genannt. Der Killer, den sie dann auf ihn angesetzt hatten, war eine Frau. Eben diese Frau. Seinerzeit konnte Wyatt ihr entkommen, doch er gab sich keinen Illusionen hin, sie verstand ihr Handwerk und würde ihm auf der Spur bleiben.
    Sie steckte einen Schlüssel ins Schloss und war drinnen. Wyatt wartete. Hinter den geschlossenen Vorhängen zeigte sich kein Licht. Nicht dass er mit dergleichen gerechnet hätte, sie war professionell genug und würde wohl kaum eine Taschenlampe benutzen.
    Nur wenige Sekunden später verließ sie das Zimmer, in Eile und verstört, und stieg sofort in ihren Wagen. Der Laser spuckte, als sie ihn anließ, dann setzte er zurück und brauste mit quietschenden Reifen davon.
    Wyatt glaubte nicht an einen zweiten Schützen und verließ sein Versteck. Mit großen Schritten ging er hinüber zu seinem Zimmer. Die Tür war offen. Er schlüpfte hinein und machte das Licht an. Der Pulvergeruch hing noch in der Luft, dann sah er die Einschusslöcher. Sie hatte ein halbes Dutzend Schüsse auf die Bettdecke abgegeben, unter der er die Kissen zu einer Körperform arrangiert hatte. Dann hatte sie den Trick durchschaut und war geflohen.
    Zumindest war sicher, dass die Mesics damit nichts zu tun hatten. Doch gleichzeitig bedeutete es, dass das Syndikat noch immer hinter ihm her war. In der Vergangenheit hatte er ihnen einigen Ärger beschert und es sah so aus, als wollten sie ihn partout daran erinnern. Wyatt spürte, wie die Wut in ihm erwachte. Das geschah so plötzlich und heftig, dass er für einen Augenblick wie mit Blindheit geschlagen war. Nichts lief mehr glatt und ohne Komplikationen ab. Alle wollten ihm ans Leder.
    Kurz darauf zog er sich um und packte seine Sachen. Er beseitigte alle Fingerabdrücke und ging zum Wagen des Kahlkopfes. Zeit, sich ein anderes Schlupfloch zu suchen.

    VIER

    Die Anfangsphase eines jeden Coups war geprägt von einer Reihe offener Fragen. Bis sich geklärt hatte, ob der Hintergrund stimmig, die Sache also tatsächlich zu realisieren war, und bis er ein geeignetes Team zusammengestellt hatte, musste Wyatt regelmäßig einige hundert Dollar investieren und diverse Schlupflöcher klarmachen für den Fall, dass die Sache nicht reibungslos ablief. Neben dem Overlander hatte er auch Zimmer in einem Hotel und in einem Hostel angemietet und im Voraus bezahlt.
    Das Hotel befand sich nahe der Universität in Parkville und hatte eine Fassade aus weißen Marmorplatten und getönten Glasscheiben, die in der Art eines Schachbretts angeordnet waren. Der Name ›London Hotel‹ zog sich als schwungvoller Schriftzug in roten Neonbuchstaben über die Vorderfront. Als Wyatt gegen Mitternacht das Hotel betrat, war die Empfangshalle menschenleer. Schnurstracks ging er Richtung Treppe und lenkte so die Aufmerksamkeit des Nachtportiers auf sich.
    Ein schmächtiger, blasser Typ mit roten, aufgeworfenen Lippen, der Wyatt mit einem feuchten Lächeln bedachte. Der wiederum reagierte mit einem abschätzigen Grinsen und der Portier senkte den Blick. Wyatt ging die Treppen hoch, checkte instinktiv den Korridor und betrat sein Zimmer. Der Raum wies nichts Ungewöhnliches auf.
    Er streckte sich auf dem Bett aus. Sorgen, diese ungebetenen Gäste, suchten ihn heim und er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Was stimmte nicht mit ihm, mit seinem Schlag gegen die Mesics? Wo war der Haken? Der Reihe nach unterwarf er die kritischen Punkte einer Analyse. Erstens: Bisher war immer der Ertrag das bestimmende Motiv seines Handelns gewesen. Diesmal jedoch hatten sich zusätzlich Rachegedanken Einlass verschafft. Zweitens: Solange das Syndikat noch hinter ihm her war, konnte er die ›Operation Mesic‹ vergessen — er musste also einen Weg finden, damit das Syndikat von ihm abließ. Drittens: Das bewährte Koordinatensystem, in dem er sich bisher bewegt hatte,
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