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Pulverfass Iran

Pulverfass Iran

Titel: Pulverfass Iran
Autoren: Kamran Safiarian
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|9| Einleitung
    Es vergeht kaum ein Tag, an dem der Iran nicht in den Schlagzeilen der weltweiten Nachrichten auftaucht. Häufig sind es Bilder von bärtigen Mullahs oder von Militärparaden, oder aber es geht um die Angst vor der drohenden Atombombe, um barbarische Strafen wie die Steinigung oder um einen Präsidenten, der den Holocaust leugnet und öffentlich äußert, die Geschichte werde Israel von der Landkarte tilgen. Doch das ist nur die eine Seite dieses facettenreichen Landes zwischen dem Kaspischen Meer im Norden und dem Persischen Golf im Süden. Das Bild des Iran, das die Medien transportieren, hat nur wenig mit der Lebenswirklichkeit hinter den Kulissen zu tun. Die Vokabel vom „Schurkenstaat“ oder die Rhetorik der „Achse des Bösen“ – all das gehört zum Iran, wird dem ganzen Land aber nicht gerecht. Wer in diesen Tagen durch Teheran fährt, der erlebt eine überwiegend junge und moderne Bevölkerung und im Vergleich zu anderen islamischen Ländern ist das Straßenbild nicht nur von Männern geprägt.
    Der Blick auf den Iran offenbart ein Land, das auf eine jahrtausendealte Kulturnation mit vorislamischen Wurzeln zurückgeht, und das heute eine aufbegehrende Jugend und eine heterogene Zivilgesellschaft kennzeichnen. Der Iran ist ein Land der Extreme – es herrscht eine Diktatur mit quasidemokratischen Elementen, ein traditionell geprägtes wie modern ausgerichtetes Land, in dem religiöse Hardliner und säkulare Pragmatiker um die Macht kämpfen. Im Schatten des mittelalterlichen Gottesstaates hat sich das mit fast 80 Millionenen Einwohnern bevölkerungsreichste Land der Golfregion zu einem der „demokratischsten Länder“ der islamischen Welt entwickelt. 1 So weist der Iran in seiner Verfassung demokratische Elemente wie Volkssouveränität, ein Parlament und einen Präsidenten auf. Die religiöse Diktatur im Iran enthält Elemente einer „Scheinrepublik“, entspricht sozusagen einer „Demokratie in der Diktatur“.
    |10| Wenn man sich in der Nachbarschaft des Iran umschaut und den Vergleich zu Ländern wie Saudi-Arabien oder dem Jemen sucht, dann existiert im Iran bereits eine stark entwickelte Zivilgesellschaft und eine trotz strenger Zensur lebendige Presselandschaft mit mehr als 100 Tageszeitungen und Zeitschriften. Gerade während der Unruhen im Iran hat sich das durch Facebook und Twitter geprägte „globalisierte“ Gesicht des Iran gezeigt. Mehr als 70 Prozent der Iraner sind unter 30 Jahre alt. Die Jugend hat mithilfe des Internets das Land revolutioniert und inzwischen gibt es knapp 20 Millionen Internet-User und mehr als 700.000 iranische Weblogs. 2 Soziale Netzwerke und Plattformen wie YouTube sind für die Jugend das Sprachrohr zur westlichen Welt und haben sich in den Unruhen nach den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 als eines der wichtigsten Mittel im Kampf gegen die herrschende Diktatur erwiesen. Ohne Handyfotos von den Unruhen und blutigen Zusammenstößen, die über Facebook, Twitter oder YouTube außer Landes gesendet wurden, hätten fundamentale Menschenrechtsverletzungen, wie der gewaltsame Tod der Demonstrantin Neda Agha-Soltan, nie dokumentiert und der Weltöffentlichkeit zugespielt werden können – trotz der rigorosen Zensur durch das Ministerium für Islamische Kultur und Führung, das direkt dem Geheimdienst unterstellt ist.
    Welche Rolle wird die neue iranische Jugend in einer demokratischen Zukunft des Landes spielen und wie wird sie reagieren, wenn das diktatorische Regime die Macht behält?
    „Wo ist meine Stimme?“ Das war der Slogan der sogenannten Grünen Bewegung im Iran nach den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009. Nicht zum ersten Mal wurden im Gottesstaat Wahlergebnisse gefälscht und der Wunsch nach Veränderung, Freiheit und Demokratie unterdrückt. Diejenigen, die für ihre Rechte auf die Straße gingen, knüppelte die Sicherheitspolizei erbarmungslos nieder. Die Wucht des Widerstands stürzte die Islamische Republik Iran in ihre tiefste politische und gesellschaftliche Krise. Das Machtgefüge im Gottesstaat geriet |11| aus dem Gleichgewicht, doch das Regime stürzte nicht. Heute ist die Opposition schwer getroffen, der Machtapparat hat mit voller Härte zurückgeschlagen. Die brutale Gewalt und die Folterungen in den Gefängnissen des Regimes scheinen den Widerstand der Menschen gebrochen zu haben, es ist still geworden um die Grüne Bewegung. Findet die Freiheitsbewegung doch noch Wege, das angeschlagene Regime zu stürzen? Welche
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