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Saubere Verhältnisse

Saubere Verhältnisse

Titel: Saubere Verhältnisse
Autoren: Ma2
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noch nie gesehen.
    Als Simon noch klein war, spielten sie manchmal ein Spiel, das hieß: »Wer wohnt hier?« Man mußte Tiere mit ihren Wohnungen paaren: das Pferd mit dem Stall, den Hund mit der Hundehütte, den Vogel mit dem Nest und so weiter. Sie war mit der Zeit sehr gut darin geworden, die Vorort-Variante des »Wer wohnt hier?« zu spielen. Sie versuchte zu erraten, wer in den Häusern wohnte, und mußte ihr Bild dann eventuell korrigieren, wenn sie die Bewohner sah.
    Aber den Orchideenweg 9 schaffte sie nicht. Das war das Puzzlestück, das immer übrigblieb. Sie nahm an, daß es ihr recht geschah.
    Und dann passierte heute, an diesem sanften, grauen Septembertag, etwas Merkwürdiges.
    An dem Platz, wo sie immer ihr Auto abstellte, gab es eine Anschlagtafel – so ein Brett mit einem kleinen Dach drüber, wo Zettel wegen entlaufener Katzen angebracht werden, die Einladungen zur Jahresversammlung des Vorortvereins und für den Flohmarkt des Sportclubs. Als sie nach ihrer Runde zurückkam, bemerkte sie, daß es einen neuen Zettel gab. Er hatte vermutlich schon da gehangen, als sie vor einer Stunde vorbeikam, aber da hatte sie ihn nicht bemerkt.
    Der Zettel war handgeschrieben. Da stand:
     
    Suche Hilfe bei Haushaltsarbeit,
    einige Stunden pro Woche.
    Putzen, Bügeln u.ä.
     
    B. Ekberg, Orchideenweg 9
     
    Der untere Teil des Zettels war in kleine Fähnchen geschnitten, auf denen die Telefonnummer stand.
    Ihr war sofort klar, daß dies eine Möglichkeit sein könnte, etwas über die Bewohner des Hauses zu erfahren. Sie könnte anrufen und so tun, als würde sie sich um den Putzjob bewerben. Vielleicht würde sie sogar zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden.
    Allein beim Gedanken, etwas in diesem Haus zu tun zu haben, das Gartentor zu öffnen, über den Kiesweg zu gehen, an der Tür zu klingeln, den Besitzer öffnen zu sehen und dann das Haus zu betreten, wurde ihr heiß vor Aufregung. Sie würde natürlich nicht ihren richtigen Namen oder ihre Telefonnummer angeben. Nach dem Vorstellungsgespräch würde sie nie mehr wiederkommen.
    Sie riß ein Fähnchen mit B. Ekbergs Telefonnummer ab (vor ihr hatte noch niemand einen abgerissen, hier kamen eben nicht so viele arbeitsuchende Putzfrauen vorbei) und steckte ihn in die Tasche.
    Es war eine von den vielen Ideen, die ständig wie Vögel durch ihren Kopf flatterten, bei denen sie es so selten der Mühe wert fand, die Hand auszustrecken und sie einzufangen.

6
    Sie vergaß das Ganze. Bis sie ein paar Tage später in der Garderobe des Büros stand und in der Manteltasche nach einer Visitenkarte suchte, die ein Kunde ihr gegeben hatte. Der zerknitterte Schnipsel kam mit der Visitenkarte zum Vorschein, und ohne richtig zu sehen, was es war, nahm sie beides zum Schreibtisch, um den Kunden anzurufen.
    Als das Gespräch beendet war, betrachtete sie den Schnipsel mit einem diffusen Gefühl von Scham. Bei »Deine Zeit« war man bemüht, die Flut von losen Zetteln einzudämmen. Wenn es sie dennoch gab, sollten sie möglichst sofort bearbeitet oder die Informationen an ihren richtigen Platz, in eine Datei oder einen Ordner übertragen werden.
    Yvonne nahm den Hörer und wählte rasch die Nummer, dabei versuchte sie, sich zu erinnern, um was es ging.
    Eine Männerstimme antwortete. Sie wollte sich schon mit ihrem Namen vorstellen, aber dann erinnerte sie sich und hielt inne. Für den Bruchteil einer Sekunde erwog sie, aufzulegen.
    »Also, ich rufe wegen dem Job an. Haushaltshilfe, ein paar Stunden pro Woche.«
    »Ja?« Er klang immer noch mißtrauisch.
    »Ich möchte mich bewerben«, sagte sie einfach.
    »Und wer sind Sie? Haben Sie schon einmal geputzt? Profimäßig, meine ich.«
    »Ich kenne mich aus in der Art von Tätigkeiten, die Sie suchen. Ich erzähle Ihnen gerne mehr über mich bei einem Vorstellungsgespräch. Im Moment paßt es nicht so gut. Ich rufe von einem Büro aus an, wo ich putze. Ich kann jetzt nicht so gut reden.«
    »Ja, dann müssen Sie wohl herkommen? Wann paßt es Ihnen? Heute abend?«
    Das »heute abend« machte das Ganze plötzlich merkwürdig real. Sie schwieg.
    »Hallo?« hörte sie den Mann sagen.
    Yvonne, die es sonst tunlichst vermied, Pausen in ihren Gesprächen entstehen zu lassen, konnte nichts sagen. Sie meinte sehen zu können, wie ihr Schweigen immer größer wurde, wie die dunkle Wasserfläche zwischen einem Anlegesteg und dem Deck eines davongleitenden Boots.
    »Hallo? Sind Sie noch da?« hörte sie den Mann wieder.
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