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Saubere Verhältnisse

Saubere Verhältnisse

Titel: Saubere Verhältnisse
Autoren: Ma2
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1
    Sie geht durch den Vorort. Die ruhigen, stillen Straßen entlang, vorbei an den gepflegten, lauschigen Gärten.
    In den Häusern brennt Licht. Sie sieht in die ordentlichen Küchen, die komplette Sammlung einheitlicher Gewürzgläser steht in ausgerichteten Reihen über dem Herd. Fernseher mit Großbildschirmen, die die Farbe der Zimmer verändern. Gekrümmte Rücken vor den Computern.
    Ein Mann steht am Herd und kratzt sich mit dem Stiel des Bratenwenders im Nacken.
    Eine junge Mutter mit einem Säugling an der Schulter geht im Zimmer hin und her, über dem Gitterbett brennt eine kleine Nachtlampe.
    Eine Frau steht an einem offenen Fenster. Sie raucht und weint.
    »Weine nicht. Es ist nicht so schlimm, wie du denkst. Weine nicht!«
    Die Frau hört auf zu weinen und schaut sich um. Hört sie die flüsternde Stimme im Dunkeln? Weiß sie, daß sie nicht allein ist?
    Da ist die Glückliche Familie in ihrem verfallenen Haus mit dem ungemähten Rasen, Kaninchenstall und Holzschuppen.
    »Ihr seid geborgen«, flüstert sie. »Solange ich hier spazieren gehe, kann euch nichts Schlimmes passieren.«
    Jetzt erlöschen die Fernsehschirme und Computer. Über der Tür der Einwandererfamilie flattert sanft die schwedische Flagge an einer Stange.
    »Schlaft, alle miteinander«, flüstert sie. »Ihr Mütter und Väter und Kinder. Ihr Witwen und Witwer und Geschiedenen. Schlaft, ihr Vögel in den Baumkronen. Schlaft, ihr Volvo Kombis in euren Einfahrten. Ihr Hunde und Hamster und Kaninchen. Schlaft im schützenden Grün, schlaft unter großen, stillen Bäumen.«
    Die Straßen sind öde und leer. Im Vorort geht man zeitig schlafen. Weil man früh aufstehen muß. Da draußen wartet die harte Arbeit mit Kürzungsprogrammen, Umorganisationen und Unsicherheit.
    Jetzt fangen die Igel in den Hecken zu rumoren an. Jetzt flitzen die Hasen über die Rasen, und Katzen verschwinden wie graue Striche unter den geparkten Autos.
    Jetzt leuchten nur noch die kleinen Nachtlampen und ab und zu ein Computerbildschirm bei jemand ganz Fleißigem. Einem, der sich Sorgen macht. Angst hat, es nicht zu schaffen.
    »Geh schlafen«, flüstert sie. »Du brauchst keine Angst zu haben. Schlaf. Schlaft alle miteinander, ihr Lieben. Ihr werdet alle geliebt. Wenn ihr etwas anderes glaubt, dann ist das nicht wahr. Ihr werdet geliebt. Ich weiß nicht von wem, ich weiß nur, daß es so ist. Ihr werdet mit einer mächtigen Liebe geliebt. Habt ihr es gehört, meine Freunde. Ihr werdet alle zusammen unendlich geliebt.«

2
    Zwei Jahre lang hatte Yvonne den Vorort verfolgt und in dieser Zeit hatte sie ihn ganz gut kennengelernt. Sie kannte die Familien, ihre Gewohnheiten, ihren Geschmack, ihren Tagesablauf.
    Es war ein Vorort mit abwechslungsreicher Bebauung, der in Etappen, zu verschiedenen Zeiten, entstanden zu sein schien. Sie nahm an, daß die ersten Häuser zu Beginn des Jahrhunderts gebaut worden waren, als hier noch plattes Land war. Große, stabile Holzhäuser mit allerlei Nebengebäuden.
    Weiter oben am Hang gab es ein paar sehr individuelle, lustige kleine Gebäude: die Häuser der Armen, von ihnen selbst gebaut, Brett für Brett, so wie eben das Geld reichte. Es hatte bestimmt noch mehr dieser Flickenteppichhäuser gegeben, aber sie nahm an, daß die meisten von ihren späteren Besitzern bis zur Unkenntlichkeit verändert worden waren.
    Nach dieser ersten Kolonisierung scheint im Vorort nicht viel passiert zu sein. Yvonne stellte sich vor, daß die Kinder der Armen barfuß in den Felsen spielten und die Eltern auf einem kleinen Stück Land Kartoffeln anbauten und auf einer Weide eine Kuh graste.
    Ansonsten schien der Vorort bis in die 6oer Jahre des 20. Jahrhunderts ziemlich unberührt gewesen zu sein, bis dann die Ausbeutung richtig begann. Aus dieser Zeit gab es jede Menge Einfamilienhäuser aus gelbem, rotem oder weißem Klinker, umgeben von kleinen, pflegeleichten Gärten mit vielen Nadelgehölzen.
    Die nächste Bebauungsphase ist wohl auf die 80er Jahre zu datieren. Zu jener Zeit war die Stadt so sehr gewachsen, daß der Vorort plötzlich nicht mehr weit außerhalb lag, sondern am Rande der Stadt, die Grundstückspreise waren in die Höhe geschossen.
    Jetzt hatten die Reichen ihren Einzug in den Vorort gehalten. Da der größte Teil des Bodens bereits bebaut war, mußten ihre Häuser auf den abgeteilten Bauplätzen der ältesten Grundstücke errichtet werden. Mit ihren sauberen weißen Fassaden, runden Kajütenfenstern und großen Sonnendächern
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