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Saubere Verhältnisse

Saubere Verhältnisse

Titel: Saubere Verhältnisse
Autoren: Ma2
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September, ein ruhiger, grauer Tag, die Luft war sehr feucht, aber es war noch sommerlich warm.
    Yvonne parkte, wo sie immer parkte, und machte in raschem Tempo ihre Runde, die immer gleich aussah:
    Zuerst den Weißdornweg vier Blocks geradeaus. Der Weißdornweg war die Hauptstraße des Vororts. Hier lagen einige der ältesten Häuser, umgeben von großen Gärten.
    Dann bog sie in den Phloxweg ein, dem sie ein paar Blocks leicht ansteigend folgte.
    In einem der Häuser wohnte früher eine sehr strebsame Familie. Die junge Frau saß oft abends am Küchentisch und studierte, die Wäsche hing um sie herum auf den Stuhlrücken. Manchmal hatte sie auch den Kinderwagen in der Küche und schaukelte ihn rhythmisch beim Lesen. Der Mann kam spät nach Hause und saß dann den ganzen Abend am Computer. Ihre Mühen lohnten sich ganz offensichtlich. Der schlichte alte Toyota in der Einfahrt wurde durch einen silberfarbenen Volvo 760 ersetzt, und eines Tages waren sie weg. Es war ein ziemlich kleines Haus, vielleicht waren sie in ein größeres gezogen.
    Jetzt wohnte hier eine Familie aus der Türkei oder dem Iran oder so. In ihrem Wohnzimmer glänzte und glitzerte alles, wie im Palast eines Maharadscha. Die Küchengardinen waren aus fliederfarbenem Tüll, und die Unterseiten der Hängeschränke waren mit Seidenkrepp verziert. Auf einem riesigen Sofa in Grün und Gold saßen oft Männer mit Schnauzbärten und gestickten Kaftanen. Sie gestikulierten heftig unter einem Kronleuchter mit rosa Prismen (Yvonne stellte sich vor, daß sie Umstürze in der Heimat planten).
    Ins Haus nebenan waren Landsleute dieser Familie eingezogen, aber da hatte Yvonne keinen so guten Einblick. Sie hatten ein Loch in die Hecke geschnitten und besuchten sich gegenseitig. Beide Familien hatten die schwedische Flagge an einer Stange an der Hauswand gehißt.
    Nach dem Phloxweg kam sie zum Akeleiweg. Hier gab es ein langweiliges kleines Haus aus den vierziger Jahren, das kein Interesse in ihr weckte. Aber wenn man hier um halb acht abends vorbeikam, passierte etwas Lustiges. Und merkwürdigerweise passierte es immer genau zu dieser Zeit, sommers wie winters, bei Regen, Sonne oder Schnee.
    Folgendes passierte: Auf einem Anbau gab es eine Dachterrasse. Um Punkt halb acht wurde die Terrassentür aufgeschlagen, die dramatischen Fanfaren der Erkennungsmelodie der Nachrichten dröhnten in voller Lautstärke aus dem Zimmer, ein älterer Mann in einem offenen Bademantel und Hausschuhen trat in die Tür. Mit resolutem Schritt ging er zum Geländer, sein schlaffes, adriges Organ baumelte unter dem graubuschigen Bauch hin und her. Er zündete eine Zigarette an, nahm drei schnelle, gierige Züge und warf die Kippe mit einer Miene des äußersten Ekels übers Balkongeländer, machte dann kehrt und ging ruhig und würdig ins Haus zurück. Yvonne erinnerte dies an mittelalterliche mechanische Uhren, bei denen zu einer bestimmten Uhrzeit eine Heiligenfigur erschien.
    Weiter vorne im Akeleiweg wohnte eine unkonventionelle Familie mit Kindern, die Yvonne »Die Glückliche Familie« getauft hatte. Sie hatten einen großen Garten mit Kaninchenställen, alten Fahrrädern, einem Schuppen, der in ein Spielhaus verwandelt worden war, einem Baumhaus und einem alten Saab, an dem der Mann immer wieder herumreparierte, den er jedoch nie fahrtüchtig bekam. Das Haus hatte eine Fassade aus kaputten Eternitplatten, sie mähten nie das Gras und putzten nie die Fenster. Im Sommer versammelten sie ihre Freunde zu großen Gartenfesten, ohne den ansonsten obligatorischen Grill. Der Mann hatte einen wilden, roten Bart und trug Flanellhemden, die Frau war nie geschminkt und hatte einen bis auf den Rücken reichenden Zopf. Sie hatten etwas Hippieartiges, aber gleichzeitig sehr Bodenständiges. Yvonne schwankte zwischen einer christlichen Sekte und Ökofreaks.
    Manchmal phantasierte sie, wie es wäre, das Leben mit der Zopffrau zu tauschen. Das ganze Konzept zu übernehmen, das Haus, die Kinder, die Kaninchen, den bärtigen Mann. Nicht für immer, aber für ein paar Wochen.
    Dann kam das lila Haus. Da wohnte nicht, wie man vermuten könnte, eine Hippiewohngemeinschaft oder ein exzentrischer Künstler, sondern ein Paar jenseits der fünfzig, sehr ordentlich in gedeckten Farben gekleidet. Yvonne sah sie manchmal, wenn sie ihren Zwergspaniel Gassi führten. Sie gingen nie weiter als bis zur nächsten Laterne, und immer mußte er sich die schwarze Plastiktüte über die Hand ziehen und sich bücken,
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