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Saubere Verhältnisse

Saubere Verhältnisse

Titel: Saubere Verhältnisse
Autoren: Ma2
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daß sie noch spät bei Veranstaltungen war. Simon war daran gewöhnt und wußte, daß er sie auf dem Handy erreichen konnte.
    Als es nach zwölf war und sie annehmen konnte, daß die meisten Menschen schon schlafen gegangen waren, fuhr sie in den Vorort. Sie parkte an der Stelle, wo sie immer parkte, und ging zum Orchideenweg hinauf. Sie ging an Nummer 9 vorbei, ohne stehenzubleiben oder das Haus auch nur anzuschauen. Zwanzig Meter weiter, wo die Straße in einer Wendeschleife endete, ging sie in den Wald.
    Sie hatte schon beim Herfahren bemerkt, daß Vollmond war, aber erst zwischen den Bäumen, wo er keine Konkurrenz von Straßenlaternen bekam, konnte sie auf einmal das starke, weiße, immer irgendwie fremde Licht sehen, das so wenig zu der Welt der Menschen zu passen schien.
    Sie ging parallel zur abgesperrten Grundstücksgrenze ein Stück in den Wald hinein. Dabei behielt sie das Haus und den Garten im Auge, um eventuelle Wachen nicht zu übersehen. Aber niemand bewachte das Haus. Das Windspiel gab einzelne, unregelmäßige Töne von sich, sie schwebten kurz im Mondschein und lösten sich dann in Stille auf.
    Als sie auf der Höhe des Steingartens war, blieb sie stehen. In einer Öffnung, die von dem kleinen Felsen und Laubbäumen begrenzt wurde, sah sie den künstlichen Teich. Die Polizei mußte die aufgegrabene Stelle wiederhergestellt haben, denn die oberste Kiesschicht war so glatt wie immer, vielleicht noch glatter. Aber irgendwie auch dunkler. Im Schein des Mondlichts sah sie wirklich wie eine Wasseroberfläche aus.
    Das Licht schien silbrige Reflexe zu werfen. Der Wind legte sich und – wie merkwürdig! – in der Oberfläche des Teichs sah sie das bebende, aber völlig deutliche Spiegelbild der zierlichen Bambusblätter, der Miscantusquasten und dazwischen: ein Stück des Hauses mit dem bleiverglasten Schlafzimmerfenster. Aber wie konnte das sein? Wie konnte sich in einer Kiesfläche etwas spiegeln?
    Sie sah sich auf dem Boden um, fand einen kleinen Stein und warf ihn in den Teich. Plopp! machte es. Die Spritzer glitzerten im Mondschein, und Wasserringe liefen übers Wasser.
    Sie hatte das magische Wort gefunden, das Stein in Wasser verwandelte. Sie mußte es ausgesprochen haben, ohne es zu kennen. Hatte sie nicht genau das vermutet? Daß das Wort so alltäglich war, daß man es nicht merkte?
    Vielleicht war das Wort, das das Wasser zu Stein verwandelt hatte, genauso einfach und alltäglich, und vielleicht hatte auch dieses Wort jemand ausgesprochen, ohne es zu merken?
    Als sie aus dem Wald trat und die Zweige ihr nicht mehr die Sicht versperrten, sah sie, daß um den Teich herum Berge von Erde und Kies aufgeschüttet waren. Sie erinnerte sich, daß Bernhard erzählt hatte, daß früher hier eine Wasseransammlung gewesen war und sie Gräben ziehen und das Loch hatten zuschütten lassen. Vermutlich war an dieser Stelle eine unterirdische Quelle, und als die Polizei hier aufgegraben hatte, war das Wasser in die Grube gedrungen.
    Sie hob das Absperrungsband an, kroch darunter durch und setzte sich auf die Bank.
    Sie war hergekommen, um ein letztes Mal den Steingarten zu sehen. Diesen merkwürdigen Ort, der sie immer an ein Grab erinnert hatte.
    Jetzt war alles verändert. Der Wasserteich war viel kleiner als der Steinteich, eine Grube, ein Loch. Die aufgeschütteten Erd- und Kieshügel waren grotesk und häßlich und bedeckten die schmalen, aufrecht stehenden Steine, die aus dem Kiesteich geragt hatten.
    Yvonne versuchte sich vorzustellen, was passiert war. Helena hatte Bernhard gebeten, zur Polizei zu gehen und sich zu stellen. Und er hatte sich geweigert.
    »Und wenn er sich weigert?« hatte Helena bei ihrem Gespräch im Gefängnis zu Yvonne gesagt. Und Yvonne hatte geantwortet. »Dann ist er ein Schwein, und Sie sollten ihn verlassen.«
    Mein Gott! Die Erinnerung ließ sie erstarren. Wie hatte sie nur so einen Rat geben können? Sie wußte doch, daß Bernhard nichts mehr fürchtete, als verlassen zu werden. Sie hatte es doch selbst erlebt, seine Angst, seine furchtsam geweiteten Pupillen, der harte Griff um ihre Arme – und sie war um ihr Leben gerannt. Wie hatte sie Helena nur vorschlagen können, etwas so Wahnsinniges zu sagen?
    Yvonne schlug mit der Handfläche auf die Holzbank, sie war wütend und verzweifelt über sich selbst. Wie habe ich nur das Wort »verlassen« aussprechen können, dachte sie. Ich wußte es doch besser!
    Aber, dachte sie, und die Einsicht kam so plötzlich, daß ihre Hand
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