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Saubere Verhältnisse

Saubere Verhältnisse

Titel: Saubere Verhältnisse
Autoren: Ma2
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während die Frau sich diskret abwandte. Manchmal schüttelte sie eine lachsrosa Tagesdecke über dem Balkongeländer aus. An einem Sommerabend, als das Schlafzimmerfenster offenstand, hatte Yvonne die Frau brüllen gehört: »Ich trinke soviel wie ich will, du impotentes Aas!«
    Vom Akeleiweg bog sie meistens in den Orchideenweg ab. Das war eine Sackgasse. Sie ging bis zum letzten Haus, Nummer neun, dessen Grundstück an den Wald angrenzte. Sie wußte nicht, wer da wohnte, sie hatte noch nie jemanden gesehen, weder in noch vor dem Haus, aber sie blieb immer ein Weilchen stehen und betrachtete das Haus, bevor sie umkehrte und wieder zum Akeleiweg hinunterging.
    Durch die netten, gewundenen Sträßchen Minzpfad und Hortensiengasse ging sie zur Petuninengasse. In diesem Teil des Vororts war das Gelände steil und die Grundstücke ein wenig wild und planlos.
    Yvonne hatte diese Straßen mit ihren plötzlichen Kurven und steilen Treppen von Anfang an gemocht, und manchmal phantasierte sie, daß sie und Jörgen sich hier ein Haus kaufen würden. Das lustige Haus zum Beispiel, das die neuen Besitzer im letzten Jahr zu einem richtigen Märchenschloß haben umbauen lassen: Wo jetzt ein goldener Halbmond auf einer Stange von einem sechseckigen Turm glänzte und ein Stern den pavillonartigen Anbau krönte. Da könnten sie wohnen.
    Doch wenn sie ehrlich war, konnte sie sich nicht vorstellen, daß Jörgen da wohnte. Und auch Simon nicht. Nicht einmal sie, die Yvonne, die sie jetzt war, würde da wohnen. Das heißt, sie könnte da wohnen, wäre dann allerdings eine andere Yvonne. Sie wußte selbst nicht, was sie meinte.
    Die Yvonne, die sie war, fühlte sich in einem Einfamilienhaus nicht wohl. Jörgen und sie hatten sogar schon einmal ein Haus gehabt. Sie hatten es gekauft, als sie mit Simon schwanger war. Es gehörte zu ihrer Vorstellung, wie eine Familie mit Kind zu leben hatte.
    Das Haus lag in einem attraktiven Vorort in der Nähe des Meers, aber sie stellten bald fest, daß dieses Leben nichts für sie war. Jörgen war nicht der Typ Mann, der am Wochenende den Blaumann anzog und das Werkzeug hervorholte, und sie gehörte nicht zu den Frauen, die im Garten herumpusselten, sobald sie eine freie Minute hatten. Das Haus brachte nur zusätzliche Arbeit neben dem Beruf und dem Baby, das sie kurz darauf bekamen. Sie vermißten die Stadt und das spontane Glas Bier in der Eckkneipe oder die Kinobesuche. Nach eineinhalb Jahren verkauften sie das Haus und zogen in die moderne Vierzimmerwohnung im Zentrum, wo sie jetzt wohnten.
    Nach dem Petunienweg kam sie in den etwas tristen Eibenweg mit identischen Häusern aus Kalksandstein aus den sechziger Jahren.
    Es gab eigentlich nur ein Haus, das es wert war, beachtet zu werden. Das Haus war fast das ganze Jahr unbewohnt. Was nicht hieß, daß es verwahrlost war. Im Gegenteil, es war das ordentlichste Haus des ganzen Vororts, der Garten war ausgesprochen gepflegt. Jeden Abend gingen im Haus die Lampen an. Es war keine typische Einbruchssicherungsbeleuchtung mit einer Lampe auf dem Fensterbrett. Das Haus erstrahlte in vollem Glanz mit Deckenlampen, Kronleuchtern, Schreibtischlampen, Kellerbeleuchtung und den Leuchtröhren über der Arbeitsplatte in der Küche, als ob die ganze Familie allen möglichen Beschäftigungen nachging. Und diese fieberhafte Aktivität brach immer punkt acht Uhr aus. Yvonne stellte sich vor, wie die einzelnen Familienmitglieder in den dunklen Zimmern kauerten und mit dem Finger am Schalter auf den magischen Moment warteten.
    Das Ganze wurde natürlich von einer Schaltuhr betrieben, aber es war dennoch immer gleich aufregend, diesen Moment zu erleben. Wenn sie um halb acht am nackten Mann auf der Dachterrasse vorbeiging, kam sie gerade rechtzeitig zum Lampenanzünden um acht in den Eibenweg. Im Sommer war es nicht so effektvoll, es war irgendwie noch absurder, besonders wenn die Sonne schien.
    Der Garten erinnerte an die Gärten, die man aus Legosteinen bauen kann. Die Büsche waren streng konisch getrimmt, die Ränder des Rasens schienen wie mit der Rasierklinge geschnitten, und manchmal glaubte Yvonne, die dicht wachsenden roten und gelben Blumen in den Beeten seien künstlich. Ihr Auftauchen im Frühling war genauso plötzlich und unwirklich wie die Illuminierung des Hauses. Sie war zu dem Schluß gekommen, daß die Blumen zwar echt waren, aber nicht hier, sondern in einem Gewächshaus gewachsen waren. Sie wurden jedes Frühjahr als ausgewachsene Pflanzen in die
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