Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rosendorn

Rosendorn

Titel: Rosendorn
Autoren: Jenna Black
Vom Netzwerk:
bin müde, Süße«, sagte Mom, als ich sie fragte. »Ich würde gern ein Nickerchen machen.«
    Ich schnaubte verächtlich. Wenn das nicht der jämmerlichste Versuch war, das Thema zu umgehen, den ich je erlebt hatte … »Ich habe das Recht, es zu erfahren, oder nicht?«, drängte ich, obwohl ich aus Erfahrung wusste, wie schwierig es werden würde, Mom dazu zu bringen, Fragen zu beantworten, wenn sie es nicht wollte.
    »Ich … dachte einfach, dass es das Beste für dich wäre«, sagte sie, aber sie sah mir dabei nicht in die Augen und konnte auch nicht still sitzen bleiben. Ihre Hände zuckten, sie rutschte nervös auf dem Stuhl herum und tippte mit einem Fuß ungeduldig auf den Boden. Teilweise war sicherlich ihr verzweifelter Wunsch nach einem Drink der Grund dafür. Doch das war nicht alles.
    »Ich kann auch jederzeit Dad fragen«, bluffte ich. Ich wusste, dass mein Vater mir die Wahrheit sagen würde. Ich hatte ja bereits festgestellt, dass er kein Problem mit brutaler Ehrlichkeit hatte, aber ich wollte es von meiner Mom hören. Und wenn ich sie wochenlang würde nerven müssen, nahm ich das in Kauf.
    Doch möglicherweise schwächte der fehlende Alkohol ja Moms Willen, oder er machte es so kompliziert, die Lüge aufrechtzuerhalten, dass es ihr die Mühe nicht wert war. Jedenfalls begann Mom, noch immer unruhig zappelnd, zu reden, während sie über meine Schulter hinwegblickte.
    »Er hat dafür gesorgt, dass Finn mich hierherbringt, nachdem er mich aus dem Hotel geholt hat«, sagte sie. »Er … hat mir nichts gegeben.«
    Sie meinte Alkohol.
    »Ich war … verzweifelt«, fuhr sie fort. »Aber er wollte mir noch immer nicht helfen. Dann hat er mir all diese Formulare in die Hand gedrückt und mich gebeten, sie zu unterschreiben. Er hat mir nicht erzählt, was das für Formulare waren, und ich durfte sie nicht lesen.«
    Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. »Du meinst, du hast hier gesessen und deine Rechte an mir überschrieben, ohne dir die Mühe zu machen herauszufinden, was du da überhaupt unterzeichnest?«
    Sie zog die Schultern hoch und senkte den Blick. »Nicht sofort«, murmelte sie. »Erst habe ich mich geweigert. Doch dann ging es mir immer schlechter und schlechter, und Seamus wollte mir noch immer nicht helfen.«
    Und ich nehme an, ich begann allmählich zu begreifen, wie Dad tickte, denn den Rest konnte ich mir allein zusammenreimen. »Er hat dir versprochen, dir einen Drink zu geben, wenn du die Papiere unterschreibst«, flüsterte ich, denn wenn ich es laut ausgesprochen hätte, dann hätte meine Stimme versagt.
    Das schlechte Gewissen stand Mom ins Gesicht geschrieben. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Dokumente vor einem amerikanischen Gericht gültig sind«, sagte sie. »Ich war nicht ganz bei mir, als ich die Papiere unterschrieben habe.« Sie verzog den Mund. »Um ehrlich zu sein, kann ich mich kaum daran
erinnern
 … Aber meine Unterschrift ist auf den Formularen, und wenn Seamus sagt, dass ich unterschrieben habe, dann habe ich keinen Grund, daran zu zweifeln.«
    Ich biss die Zähne zusammen und kämpfte gegen meine Wut an. Mir fiel wieder ein, dass Dad sie für unzurechnungsfähig hatte erklären lassen. Doch er hatte diese Unzurechnungsfähigkeit offensichtlich zuerst einmal für sich ausgenutzt. Ja, ich war wütend auf Mom, weil sie das getan hatte – und ich konnte das Gefühl schmerzlicher Enttäuschung nicht unterdrücken, weil sie nicht um mich gekämpft hatte. Aber ein großer Teil der Schuld lag ganz eindeutig bei meinem Vater.
    Als ich in mein unterirdisches Zimmer zurückkehrte, beschloss ich, dass es an der Zeit war, die trügerische Hoffnung zu begraben, dass meine Mom oder mein Dad sich um mich kümmern und dabei nur meine Interessen im Blick haben würden. Seit Jahren sorgte ich selbst für mich, und daran würde sich auch in Zukunft nichts ändern, ob es mir nun gefiel oder nicht.
    In Avalon für mich selbst zu sorgen würde eine größere … Herausforderung sein, als es zu Hause gewesen war. Zu Hause hatte ich durch Moms Alkoholsucht die Freiheit gehabt, fast alles zu tun, was ich wollte, ohne mich um das elterliche Einverständnis scheren zu müssen. Von nun an musste ich
zwei
Elternteile beschwichtigen – und sie gegeneinander ausspielen, falls nötig.
    Doch jetzt hatte ich etwas, das ich definitiv nicht gehabt hatte, ehe ich nach Avalon gekommen war. Etwas, das ich geschworen hatte, zu meinem Vorteil zu nutzen. Magie.
    Nein, ich wusste nicht,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher