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Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort

Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort

Titel: Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort
Autoren: Mirjam Mous
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    Zeit: heute
Ort: Polizeiwache Francaz – Spanien
    Sie glauben, dass ich jemanden umgebracht habe.
    Die Vorstellung allein ist schon so lächerlich, dass sie fast witzig wäre, würde ich nicht in einer Gefängniszelle hinter echten Gittern sitzen, als wäre ich eine Art Dr. Hannibal Lecter. Aber in Wirklichkeit habe ich weder einen Schulabschluss noch einen akademischen Titel und es steht auch noch in den Sternen, ob ich überhaupt studieren will. Schon wieder Schule? Außerdem graut es mir vor Fleisch, also wird man mich auch nicht so mir nichts, dir nichts einen Schädel auslöffeln sehen. Die einzigen lebenden Wesen, die ich im Laufe meines Daseins um die Ecke gebracht habe, sind Insekten – die Mücke steht mit Abstand auf Platz eins meiner Liste mit Todesopfern, aber wenn man so provozierend summt, fordert man das ja auch regelrecht heraus.
    Ich habe um nichts gebeten. Gerade saß ich noch vollkommen entspannt hinter dem Mäuerchen am Pool und dann plötzlich – als würde ich hochgebeamt und irgendwo anders abgeworfen – in einem Polizeiauto. Okay, zwischendurch ist natürlich schon so das eine oder andere passiert, aber: So schnell ging’s! Ich durfte nicht einmal mehr mit Val reden. Na ja, der Polizeibeamte schüttelte jedenfalls den Kopf, als ich nach ihr fragte. Im Nachhinein betrachtet, kann es natürlich auch sein, dass er den Kopf schüttelte, weil er meine Frage nicht verstand. Ich spreche höchstens zehn Wörter Spanisch und die guardia civil noch weniger Englisch und erst recht kein Niederländisch.
    Aber rasen können sie. Wir fuhren durch die sonnigen Straßen, als wäre uns ein Tyrannosaurus Rex dicht auf den Fersen. Vielleicht wollten die Polizisten nur rechtzeitig für irgendein wichtiges Radrennen zurück sein, denn sobald wir auf der Wache waren, deponierten sie mich bei einer dicken Frau in Uniform und verzogen sich wieder.
    Ich habe noch nie zuvor in einer Zelle gesessen. Ich habe nicht einmal gedacht, dass ich jemals in einer landen könnte. Noch besser: Hätte mich gestern einer gefragt: »He, Fin, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass du jemals in den Bau wanderst?«, hätte ich ohne Zögern »null« gerufen. Aber nun ja, ich verliere auch immer bei Kartenspielen wie Siebzehn und Vier oder Poker. Wenn es ums Raten geht, habe ich nie eine Chance. Ich liege fast immer falsch.
    So eine Zelle ist übrigens ganz sicher kein Drei-Sterne-Hotel. Ich hocke auf etwas, das man mit viel Fantasie ein Bett nennen könnte. Die Schaumstofffüllung hat sich aufgelöst, sodass nur ein Brett in einer viel zu großen Hülle übrig geblieben ist. Darauf einzuschlafen, wäre selbst für einen geübten Fakir eine gewaltige Herausforderung. Und dann hängt auch noch eine widerliche Mischung aus Alkoholdunst und Urin in der Luft, wahrscheinlich von dem schlafenden Obdachlosen auf dem zweiten Bett in der Ecke. Hoffentlich gehört der nicht wirklich in die Kategorie Hannibal Lecter und hat Appetit auf ein Fin-Häppchen.
    »Mannomann, du steigerst dich da wieder total in was rein«, würde Val sagen.
    Aber Valerie ist leider nicht hier. Die habe ich in ihrem Liegestuhl zurückgelassen. Inzwischen wird sie sich wohl fragen, wo ich bleibe. Ich sollte nur kurz diesen Geldbeutel abgeben, aber ich konnte doch nicht ahnen, dass dort eine Leiche…
    Es nervt mich immer total, wenn mein Hirn an etwas denkt, was ich am liebsten so schnell wie möglich vergessen will. Und das macht es ziemlich häufig, also nervt es mich entsprechend oft. Ich will lieber an positive Dinge denken. Zum Beispiel daran, dass Val hierherkommt und nur kurz zu erklären braucht, wie ich in dieses Hotelzimmer kam und so. Und dass diese dicke Polizistin sich dann hunderttausendmal entschuldigt und mich danach gehen lässt.
    Eigentlich kapiere ich sowieso nicht, weshalb sie mich festgenommen haben. Mit ein bisschen Menschenkenntnis kann man doch sofort sehen, dass ich der Falsche bin.
    Ein Beispiel: Ich wiege im Supermarkt Tomaten ab, ein Mitarbeiter kommt vorbei und schaut mich durchdringend an. Und – zong! – sofort steht mein Kopf in Flammen, bloß weil er denken könnte, ich wollte anschließend noch ein paar dazustecken.
    Noch ein Beispiel: Ich rasiere mich einmal pro Vierteljahr mit dem Apparat, den ich von Martijn zum Geburtstag bekommen habe. Aber das mache ich bloß zur Schau und für Martijn, denn ich habe überhaupt nichts, was ich rasieren könnte; auf meinem Kinn sprießt höchstens ein wenig Flaum. Und zu allem Überfluss
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