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Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort

Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort

Titel: Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort
Autoren: Mirjam Mous
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Sprachliche zu regeln, dann wäre mein Spanisch nicht so armselig. Eine Frage reiner Bequemlichkeit, die mir jetzt einen Strick dreht.
    Ich nehme ein Pizzastück und versuche, den Schinken abzuschaben, was ziemlich eklig aussieht, wenn man so schwarze Fingernägel hat wie ich. »Kein. Fleisch.« Ich schüttele wild den Kopf, zeige auf den Schinken, auf mich und wieder auf den Schinken.
    Barbalala zuckt die Schultern und nimmt sich auch ein Stück Pizza.
    Mein knurrender Magen trägt den Sieg über meine Prinzipien davon. Ich nehme einen Bissen vom knusprigen Rand.
    Barbalala saugt mit ihren fleischigen Lippen das gesamte Pizzastück auf einmal ein und dann bewegt sich ihr Kiefer. Wie eine Häckselmaschine im Dauerbetrieb. Würde man einen Zweig reinstecken, wäre der in null Komma nichts zerkleinert. Also, was ich sagen will: Innerhalb weniger Sekunden hat Barbalala die Nahrung vollständig zermahlen. Es ist ein schrecklich unappetitlicher Anblick. Der Teig bildet einen Kloß in meinem Mund und ich muss würgen.
    »Agua?«, fragt Barbalala.
    Wasser! Das ist eins der ungefähr zehn Wörter, die ich kenne. Ich nicke erleichtert.
    Sie füllt meinen Becher am Wasserspender, stellt ihn vor mich und setzt sich wieder hin. Ich trinke und sie isst. Oder besser: schlingt. Noch zweimal fragt sie mich etwas auf Spanisch. Dann ist die Pizza in ihrem Magen verschwunden und sie faltet die Schachtel, um sie anschließend im Papierkorb zu versenken. Aus einer Schreibtischschublade fischt sie ein Päckchen Papiertaschentücher. Ich bekomme auch eins als Serviette. Sobald sie ihre Finger abgewischt hat, zerknüllt sie das Tuch und schnippt es zur Schachtel. Sie schiebt den Laptop näher und macht ihn auf. »Nombre?«
    Das verstehe ich noch. »Fin van Toor.«
    Sie versucht, meinen Namen zu wiederholen. »Fanfan Toro.«
    Ich schüttle den Kopf. »Fin. Van. Toor.«
    Sie schiebt mir den Memoblock rüber, nimmt einen Stift aus dem Igel und bedeutet mir, meinen Namen aufzuschreiben. Danach tippt sie ihn ab. »Dónde vives?«
    »Holandés«, sage ich. »No hablo español.« Ich spreche kein Spanisch. Das ist so in etwa der einzige Satz aus dem Sprachführer, an den ich mich erinnern kann. »Inglés, sí.«
    Aber wie schon befürchtet, spricht Barbalala kein Englisch. Sie rattert in dieser unverständlichen Sprache los, die hundert Wörter zu brauchen scheint, um eine einzige kleine Sache zu beschreiben.
    »No hablo español«, sage ich dann eben noch einmal.
    Jetzt fängt sie auch noch an, wie ein Gebärdendolmetscher zu gestikulieren. Ihre fleischigen Arme pendeln vor meinem Gesicht und in ihren Achseln erscheinen Schweißflecken. Manche Menschen sollte man dazu verpflichten, Deodorant zu verwenden.
    Meine Augen wandern zum zigsten Mal zur Tür.
    Wo bleibt Val denn bloß? So allmählich könnte sie doch wirklich hier sein. Ob sie überhaupt weiß, dass ich hier bin? Vielleicht hat ihr niemand erzählt, dass die Polizeibeamten mich mitgenommen haben, und es dauert noch Stunden, bis sie dahinterkommt?
    Oder noch schlimmer: Tage.
    Barbalalas laute, schrille Stimme schweigt endlich. Sie sieht mich leicht resigniert an. Über meinem Kopf schwirrt unaufhörlich der Ventilator. Durch den Luftzug hat sich eine Ecke meines Papiertaschentuchs angehoben. Es zittert wie eine kleine weiße Flagge im Wind, bis ich meine Hand darauf lege.
    Ehrlich gesagt bin ich ziemlich verzweifelt. Nur der Gedanke an Val hält mich noch aufrecht. Sie kann mich retten. Sie ist mein Alibi und meine Dolmetscherin.
    Wenn sie irgendwann mal noch auftaucht, nervt eine Stimme in meinem Kopf.
    Und dann denke ich auf einmal etwas ganz Schreckliches. Was, wenn sie gar nicht vorhätte zu kommen? Mich sogar nie mehr sehen möchte. Dass sie mich bewusst im Stich gelassen hat, weil die Polizisten ihr weisgemacht haben, dass es stimmt. Dass ich wirklich jemanden ermordet habe…

3
    Zeit: drei Monate früher
Ort: Fins Dachbodenzimmer
Den Haag – Niederlande
    Ich hatte es mir mit meinem Laptop und der Webcam in meinem Zimmer gemütlich gemacht, den Rücken ans Bett gelehnt, die Beine im Schneidersitz und den Computer auf dem Schoß. Das Dachfenster stand offen und ließ einen Streifen Sonnenlicht herein. In der Kastanie, die fast bis an den Dachfirst unseres Hauses reicht, hockte eine Amsel, die sich wohl für die Reinkarnation von Michael Jackson hielt. Weiter weg erklang Verkehrslärm von Autos und das Klingeln einer Straßenbahn.
    »Brüderchen.« Auf dem Bildschirm mir gegenüber
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