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PR 2635 – Jagd auf Gadomenäa

PR 2635 – Jagd auf Gadomenäa

Titel: PR 2635 – Jagd auf Gadomenäa
Autoren: Hans Kneifel
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1.
     
    Auch in dieser Nacht suchten ihn Erinnerungen heim. Schweißgebadet und zitternd erwachte er und versuchte, den Aufruhr in seinen Gedanken zu dämpfen, die dahinhuschenden Erinnerungen festzuhalten, zu gewichten und zu sortieren.
    Vergeblich. Meist misslangen die Versuche völlig. Nacht? Nur scheinbare Dunkelheit in seiner Schlafblase, nichts anderes als das Fehlen von Licht.
    Er hatte unruhig geschlafen: unter dem scheinbar immerwährenden abendlichen Rot; im Schein der stechend kupferfarbenen Wolkenränder; im makabren Flammen Banteiras, jener roten, verwaschen glimmenden großen Sonne über der mehr als seltsamen Stadt Whya; in einem der Daakmoy, der Geschlechtertürme, die bis in die Wolken zu reichen schienen; im Haus Nhymoth und als sogenannter Gast, genauer: als Gefangener des Ziehvaters Chourtaird; in großer Höhe, vielleicht in zweihundert – oder dreitausend – Metern, unter der auffälligen Krönung des Gebäudes, der waagrecht liegenden Mondsichel; in seinem eiförmigen weißen Schlafgemach.
    Diese Begriffe und die Bilder, die sie verkörperten, lösten sich in einem wilden, wirren Ansturm aus der Tiefe des albtraumhaften Schlafes auf.
    Erinnerungen, entsann er sich während eines kurzen, lichten Moments, sind der lange Sonnenuntergangsschatten der Wahrheit. Wer hatte das gesagt oder geschrieben?
    Wahrheit? Die Wahrheit über ihn? Welche der vielen möglichen Wahrheiten oder Gewissheiten? Über den nicht minder seltsamen Ziehvater Chourtaird? Über die Versetzung des Solsystems in diese merkwürdige Weltraumumgebung?
    Er richtete sich auf. Jede Bewegung erforderte große, schweißtreibende Anstrengung. Wie eine Serie kleiner gedanklicher Tornados, die unablässig miteinander verschmolzen, wieder zerfielen, neue, unverständliche Nichtmuster bildeten, überfielen ihn schmerzende Eindrücke. Namen, bekannte und andere Gesichter, die er nicht zu erkennen vermochte, schwirrten vor seinem inneren Auge lautlos wirbelnd durcheinander.
    Das Implantmemo – Puc – war abgeschaltet. Die Metapher, erinnerte er sich notgedrungen selbstständig, stammte aus dem Text eines Lehrvid, das er zu Beginn seiner Ausbildung gesehen hatte. Ein uralter Text, von einem noch wirklich mit eigenen Händen und geringer mechanischer Hilfe schreibenden Kollegen namens Vladi Nabokov, aus einer Zeit, als die terranische Bevölkerung noch zwischen der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Nationalitäten hatte wählen können. Ein ... Russe? Ja. So war es wohl. Aber er schrieb, so erinnerte sich Shamsur Routh, in einer anderen Sprache. Warum gerade jetzt diese Reminiszenz an ferne Vergangenheit, die mit seiner gegenwärtigen Lage nicht das Geringste zu tun hatte?
    Mit schmerzenden Gelenken, vornübergebeugt wie ein Greis, wie der Ziehvater Chourtaird, schlurfte er zur Wand und trank aus der hohlen Hand, die er in das Rinnsal hielt, einige Schlucke Wasser. Er schöpfte noch mehr Wasser, kühlte dann seine Handgelenke und benetzte sein Gesicht. Der Ansturm der Erinnerungen änderte sich nicht. Ein flüchtiger Gedanke sagte Routh, dass er vielleicht verrückt zu werden begann. Sonnenuntergangsschatten?
    Aus dem Durcheinander der Eindrücke, von denen er nicht einen einzigen zu packen vermochte, tauchte wie aus gischtender Brandung, die in Wirklichkeit aus blauen Lichtfunken bestand, ein Gesicht auf. Trotz seines Zustandes traf es Routh wie der sprichwörtliche Blitzschlag.
    Anicee. Seine Tochter Anicee Ybarri, nach der er ... wie lange? ... schon seit schätzungsweise einem Monat suchte. Seit dem 6. September terranischer Zeit. 1469 NGZ. Gesucht, verloren, zufällig gefunden, verfolgt, abermals aus den Augen verloren und hier auf Gadomenäa, einer Welt der Sayporaner, wiedergefunden,
    Anicee, seine und Henrike Ybarris jüngere Tochter. Wieder überfluteten ihn Erinnerungen. Bilder aus fast zwei Jahrzehnten wechselten sich in schneller Folge ab. Henri, wie Anicee ihre Mutter nannte, hochschwanger, das Kind als lächelnder Säugling, später mit dem dunklen Lockenkopf und den großen Augen einer Zweijährigen und einer kaum zu stillenden Neugierde. Ein Jahr später auf seinen Armen und im Arm der zierlichen, fast mädchenhaften Mutter, lange bevor Henrike zur Ersten Terranerin gewählt werden würde. Als Vierjährige neben ihrer älteren Schwester Tuulikki, die Henrikes Verbindung mit Susanto Sakiran entstammte, auf den Sitzen eines Spielzeuggleiters zwischen zwei Robots, die Märchenfiguren darstellten.
    Nie war das Verhältnis
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