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Titel: Plattform
Autoren: Michel Houellebecq
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etwas abenteuerlicher war, dafür aber eine echte Möglichkeit der Wertsteigerung bot? Nach mehrtägigem Nachdenken, das wußte ich, würde ich mich seinen Argumenten beugen. Er würde sich durch meine Zustimmung bestätigt fühlen und die Unterlagen mit einem Prickeln der Begeisterung vorbereiten - und unser Händedruck beim Abschied würde ausgesprochen herzlich ausfallen.
        Ich lebte in einem Land, das durch einen sanften Sozialismus geprägt war, in dem der Besitz materieller Güter durch eine strenge Gesetzgebung garantiert und das Bankenwesen von hohen staatlichen Garantien untermauert war. Solange ich mich nicht außerhalb der Grenzen der Legalität bewegte, bestand keine Gefahr der Veruntreuung oder eines betrügerischen Bankrotts. Kurz gesagt, ich brauchte mir keine allzu großen Sorgen mehr zu machen. Ich hatte sie im übrigen nie wirklich kennengelernt: Nach einem ernsthaften, wenn auch nicht gerade glänzenden Studium hatte ich mich ziemlich schnell dem staadichen Sektor zugewandt. Das war Mitte der achtziger Jahre gewesen, in den Anfängen der Modernisierung des Sozialismus, zu der Zeit, da der illustre Jack Lang die staadichen Kulturinstitutionen mit Glanz und Gloria überhäufte; mein Anfangsgehalt war durchaus annehmbar gewesen. Dann war ich älter geworden und hatte ohne Unruhe den verschiedenen politischen Veränderungen beigewohnt. Ich war höflich, korrekt, wurde von meinen Kollegen und Vorgesetzten geschätzt; doch da mir ein herzlich-einnehmendes Wesen fehlt, ist es mir nicht gelungen, echte Freundschaften zu schließen. Die Dunkelheit legte sich schnell über die Umgebung von Lisieux. Warum hatte ich in meiner Arbeit nie eine ähnliche Leidenschaft entwickelt wie MarieJeanne? Warum hatte ich, ganz allgemein gesagt, nie eine wirkliche Leidenschaft in meinem Leben entwickelt?
        Es vergingen noch ein paar Wochen, die mir auch keine Antwort daraufgaben. Am Vormittag des 23. Dezember fuhr ich dann mit dem Taxi nach Roissy.

    3

        Und jetzt stand ich allein, wie ein Vollidiot, ein paar Meter vor dem Schalter von Nouvelles Frontières. Es war ein Samstagmorgen in der Weihnachtszeit und der Flughafen Roissy wie gewöhnlich überfüllt. Sobald die Bewohner Westeuropas ein paar freie Tage haben, rasen sie ans andere Ende der Welt, fliegen um den halben Erdball und führen sich buchstäblich auf wie aus dem Zuchthaus Entflohene. Ein Tadel liegt mir fern; ich schicke mich an, das gleiche zu tun.
        Meine Träume sind beschränkt. Wie alle Bewohner Westeuropas möchte ich reisen. Aber es gibt da gewisse Schwierigkeiten: die Sprachbarrieren, die schlecht organisierten öffentlichen Verkehrsmittel, die Gefahr, bestohlen oder übers Ohr gehauen zu werden. Um die Dinge beim Namen zu nennen: Mein Wunsch besteht im Grunde darin, Tourismus zu betreiben. Man träumt nur davon, was man sich leisten kann; und mein Traum besteht darin, endlos die »Rundreisen der Leidenschaft«, die »farbenfrohen Aufenthalte« und die »Freuden nach Wahl« aneinanderzureihen - um die Themen der drei Kataloge von Nouvelles Frontières aufzugreifen.
        Mein Entschluß stand schnell fest: eine Rundreise; allerdings habe ich ziemlich lange gezögert zwischen »Rum und Salsa« (Code CUB CO 033,16 Tage/14 Nächte, 11250 Franc im Doppelzimmer, Aufpreis für Einzelzimmer: 1350 Franc) und »Tropic Thai« (Code THA CA 006, 15 Tage/13 Nächte, 9950 Franc im Doppelzimmer, Aufpreis für Einzelzimmer: 1175 Franc). Tatsächlich reizte mich Thailand mehr; aber Kuba hat den Vorteil, daß es eines der letzten kommunistischen Länder ist und in dieser Form vermutlich nicht mehr lange bestehen wird, also der Aspekt des baldigen Untergangs eines Regimes, ein gewisser politischer Exotismus usw. Schließlich habe ich mich für Thailand entschieden. Ich muß zugeben, daß der Werbetext für diese Reise geschickt aufgesetzt war und sich vorzüglich dazu eignete, die Durchschnittsseelen zu ködern :
         »Eine organisierte Rundreise mit einem Hauch von Aben teuer, die Sie von den Bambuswäldern am River Kwai zur Insel Koh Samui führt, ehe sie nach einer herrlichen Fahrt quer über den Isthmus von Kra auf der Insel Koh Phi Phi auf der Höhe von Phuket endet. Eine >coole< Reise in tropischer Umgebung.«

    Um Punkt halb neun schlägt Jacques Maillot die Tür seines Hauses am Boulevard Blanqui im 13. Arrondissement hinter sich zu, steigt auf seinen Motorroller und durchquert die Hauptstadt von Osten nach Westen. Sein Ziel:
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