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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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ein Camcorder JVC HRD-96oo MS mit den dazugehörigen Batterien und Ersatzkassetten, und zwei amerikanische Bestseller, die ich auf gut Glück im Flughafen gekauft hatte.
        Der Bus von Nouvelles Frontières stand etwa hundert Meter entfernt. Im Inneren des schweren Fahrzeugs - ein Mercedes M-8oo mit 64 Sitzplätzen - lief die Klimaanlage auf vollen Touren, man hatte den Eindruck, in eine Gefriertruhe zu steigen. Ich setzte mich in der Mitte des Busses auf einen Fensterplatz; ich bemerkte verschwommen ein knappes Dutzend weiterer Fahrgäste, unter ihnen meinen Nachbarn aus dem Flugzeug. Niemand setzte sich neben mich. Ich hatte offensichtlich die erste Gelegenheit verpaßt, mich in die Gruppe zu integrieren; außerdem bestanden große Chancen, daß ich mir einen ordentlichen Schnupfen holen würde.

    Es war noch vor Tagesanbruch, aber auf der sechsspurigen Autobahn, die ins Zentrum von Bangkok führte, herrschte bereits dichter Verkehr. Wir fuhren an Hochhäusern aus Stahl und Glas und hin und wieder an Bauten aus massivem Beton vorbei, die an Sowjetarchitektur erinnerten. Es handelte sich um den Firmensitz von Banken, große Hotels und - zumeist japanische Elektronikfirmen. Nach der Abzweigung in Richtung Chatuchak hatte man von der Autobahn einen Blick auf die Ringstraßen, die die Stadtmitte einkreisten. Hinter den erleuchteten Hotels konnte man nach und nach, umgeben von unbebautem Gelände, Gruppen von kleinen Häusern mit Wellblechdächern erkennen. Von Neonlicht erleuchtete Garküchen auf Rädern boten Suppe und Reis feil; man sah die dampfenden Kochtöpfe aus Weißblech. Der Bus verlangsamte ein wenig die Geschwindigkeit, um die Ausfahrt New Petchaburi Road zu nehmen. Einen
    Augenblick lang sahen wir ein Autobahnkreuz mit gespenstischen Umrissen, dessen Asphaltspiralen mitten am Himmel zu hängen schienen und von den Scheinwerferbatterien einer Flugschneise erleuchtet waren; nach einer langen Kurve gelangte der Bus auf die Schnellstraße.
        Das Bangkok Palace Hotel gehörte zu einer Kette, die den Mercure-Hôtels nahestand und die, was Verpflegung und Unterbringung betraf, sich auf die gleichen Werte berief; das entnahm ich einer Broschüre, die ich in der Lobby studierte, während ich darauf wartete, daß sich die Situation klärte. Es war kurz nach sechs Uhr morgens - Mitternacht in Paris, dachte ich völlig ohne Grund -, aber die Halle war schon sehr belebt und der Frühstücksraum gerade geöffnet worden. Ich setzte mich auf eine Bank; ich war ziemlich benommen, hatte immer noch starkes Ohrensausen und bekam allmählich Bauchschmerzen. An ihrer wartenden Haltung gelang es mir, einige Mitglieder der Gruppe wiederzuerkennen. Zwei junge Frauen von etwa fünfundzwanzig Jahren, Supergirls mit tollen Kurven, ließen einen verächtlichen Blick über die Anwesenden gleiten. Ein Ehepaar im Ruhestand - den Mann konnte man als temperamentvoll, die Frau eher als trübsinnig bezeichnen - betrachtete dagegen geradezu verzückt die Innenausstattung des Hotels, die aus Spiegeln, Goldverzierungen und Lüstern bestand. In den ersten Stunden des Gruppenlebens bemerkt man im allgemeinen nur einepha tische Geselligkeit, die durch die Verwendung floskelhafter Sätze und den zurückhaltenden emotionalen Einsatz gekennzeichnet ist. Edmunds und White* zufolge läßt sich die Bildung von Kleingruppen erst bei dem ersten Ausflug, manchmal bei der ersten gemeinsam eingenommenen Mahlzeit erkennen.
        Ich zuckte zusammen, war am Rande der Ohnmacht und zündete mir eine Zigarette an, um mich wieder in die Gewalt zu

    * Sightseeing tours: a sociological approach, Annals of Tourism Research, Vol. 23, 8.213-227,1998.
    bekommen: Diese Schlaftabletten waren wirklich zu stark, mir wurde davon übel; aber von den Tabletten, die ich bis dahin genommen hatte, konnte ich nicht mehr einschlafen: Es gab keine ideale Lösung. Das Rentnerehepaar drehte sich langsam um die eigene Achse, ich hatte den Eindruck, daß der Mann sich ziemlich in Positur warf; in Erwartung eines Menschen, mit dem sie sich austauschen konnten, ließen sie ein potentielles Lächeln über ihre Umgebung gleiten. Sie waren wahrscheinlich in ihrem früheren Leben kleine Kaufleute gewesen; das war die einzig denkbare Hypothese. Einer nach dem anderen gingen die Mitglieder der Gruppe nach dem Aufruf ihres Namens auf die Reiseleiterin zu, erhielten ihren Schlüssel und fuhren zu ihrem Zimmer hinauf- anders gesagt, sie gingen auseinander. Wir hätten die

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