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Die Schule der Nackten

Die Schule der Nackten

Titel: Die Schule der Nackten
Autoren: Ernst Augustin
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Umschlagkonzept: Leander Eisenmann Ölgemälde von Inge Augustin, «Springende» 1995

    2. Auflage 2003
    ©Verlag C.H.Beck oHG, München 2003
    ISBN 3 406 50968 1

    «Es gibt dort eine Freizone, wo ich alles ablege, alle Bindungen, alle erworbenen Eigenschaften, den Beruf, den Namen, auch Schuhe und Strümpfe und das gesamte Unterzeug.» München im schweren Sommer, im Jakobi-Bad: Zugang nur ohne Kleidung gestattet, und das ist ernst gemeint. Hier erfüllt sich das Geschick eines älteren Herrn, dessen erstes zaghaftes Betreten der weißen Flecke einer Stadtlandschaft in einem erbitterten Existenzkampf mündet, ausgefochten mit nichts als der eigenen Haut.
    Entwicklungsroman, Reisebericht und Beschreibung eines heimlichen Soziotops, folgt der Roman «Die Schule der Nackten» territorialen Eroberungen auf der Liegewiese in der Größenordnung von Alexanderzügen, entrollt ein Drama auf Leben und Tod um die schönhüftige Juliane, die ebensogut im frühen Ninife wie in altindischen Tantrakulturen ihren Platz gefunden hätte. Und letzthin findet. Ein leidenschaftlich grimmiges Epos voller Heiterkeit, und das Ganze auf höchst begrenztem Raum unter dem sommerlichen Glockengeläut Münchens.

    Ernst Augustin, geboren 1927, Arzt, Neurologe und Psychiater, jahrelang in Entwicklungsländern tätig, später als psychiatrischer Gutachter in München. Autor einer Reihe von Romanen, u.a. «Der Kopf», «Raumlicht», «Eastend», «Der amerikanische Traum», «Gutes Geld». Literaturpreise: Hennann-Hesse-Preis, Kleist-Preis, Tukan-Preis, Literaturpreis der Stadt München.

    Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.

    E rnst A ugustin

    D ie S chule der N ackten

    Roman

    Verlag C.H.Beck
    Dieses Buch ist Fiktion.
    Entstehende Ähnlichkeiten mit lebenden Personen
    wären rein zufällig.

    2. Auflage 2003

    ©Verlag C.H.Beck oHG, München 2003
    Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg
    Gesetzt aus der Trump Mediävel im Verlag C.H. Beck
    Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier
    (hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff)
    Printed in Germany
    ISBN 3 406 50968 1
    www.beck.de

I

    Es gibt dort eine Freizone, wo ich alles ablege. Alle Bindungen, alle erworbenen Eigenschaften, meinen Beruf, meinen Namen, meine gesamte Vergangenheit, auch Schuhe und Strümpfe, das Hemd mit dem Armani-Etikett, die Hose von «Bonard» und das gesamte Unterzeug. Ich gebe meine gehobene Stellung ab, den Schutz und den Schirm, den Anstand und die Begierde (denn die ist dort nicht angebracht), vor allem aber gebe ich meine Scham ab. Oder besser, die Schämigkeit.
    München im schweren Sommer. Die Häuser dunkelgelb, die Kirchenplätze glühend, überall schwingen sich schwere Glockentöne von den Türmen, und da ist das Jakobi-Bad vor der Tür: Männer mit Bäuchen gehen dahin, Frauen in Flatterhosen, gehen hin und kehren nicht zurück, und wenn, dann nicht so, wie sie gekommen sind.
    Es gibt dort eine Bretterwand, die sich von einem zum anderen Ende hinzieht. In der Mitte eine verstellte Lücke, eine Art Schleuse: Freikörpergelände, Zugang nur ohne Kleidung gestattet. Und das ist ernst gemeint, denn dieses ist eine ganz vordergründige Geschichte, jede vermeintliche Metapher ist ganz wörtlich zu nehmen. Das Ungeheuer, das hier das Haupt erhebt, hat wirklich goldene Augen! Ich meine, es hat goldene Augen.

    *

    Ein denkwürdiger Tag, als ich dort zum ersten Mal eintrat. Zu einer heißen Stunde am frühen Nachmittag, nachdem ich drei Stunden lang auf dem Rasen vor der Bretterwand gelegen hatte. Das heißt eine Stunde lang unvernünftig prall in der Sonne und dann zwei im Halbschatten bei anhaltender Hitze, während ich den Bäuchen und den Flattergewändern nachsah, wie sie in der ominösen Bretterschleuse verschwanden. Hier draußen erstreckte sich eine heitere Badelandschaft in Grün, Weiß und Blau über einen halben Kilometer. Blau wegen der fünf großen Badebecken voller Kinder und schöner junger Erwachsener, die allesamt ein brausendes Geräusch erzeugten, einen Pegel von gleichbleibender Dichte, einer Meeresbrandung nicht unähnlich. Dazu die Glocken, sich von Türmen schwingend, gelbe wogende Kornfelder irgendwo weiter draußen. München im schweren Sommer.
    Die Stadt der Nackten!
    Sicherlich nicht, man trägt hier ausnehmend schöne Badekleidung, hoch in den Weichen ausgeschnitten und freigegeben, aber auch wiederum nicht so sehr, elegant freizügig eben.
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