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Die Schule der Nackten

Die Schule der Nackten

Titel: Die Schule der Nackten
Autoren: Ernst Augustin
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herunterhängenden Fußballhosen. Und im nächsten Augenblic k sehe ich mich mit der Baderolle unterm Arm zusammen mit einer soeben eingetroffenen Gruppe Schwergewichtiger oder auch Magerer - ich weiß es nicht mehr - dicht vor der Schleuse. Sehe mich in der Schleuse, aus zwei versetzten Bretterfronten bestehend. Sehe diese ungehobelten Bretter ganz nahe und - rutschte gleich mit durch.
    Da stand ich – – – in totaler Stille.
    Zweihundert Augen waren auf mich gerichtet. Ich zog sofort meine Hose herunter, gleich neben dem Eingang, stieg aus der Hose und behielt sie in der Hand, stand da mit nichts, nicht einmal einer Sonnenbräune bekleidet, und glaubte es eigentlich nicht.
    Heute weiß ich, daß die zweihundert Augen völlig blicklos waren, da sie, gegen die Sonne gerichtet, mich, der ich mit der Sonne hereinkam, höchstens als Umriß wahrnahmen. Ich habe das später selbst ausprobiert, zum damaligen Zeitpunkt aber fühlte ich mich im Mittelpunkt des Gesamtgeschehens, seziert, analysiert, ausgeweidet und gevierteilt: Wenn es in diesem unserem Universum ein Zentrum, einen Brennpunkt, einen absoluten Fokus gegeben haben sollte, dann war es mein dort unten befindliches, einsam hängendes Genital.
    Und das Ganze im Stehen.
    Die Gruppe der Dicken und Mageren war längst weitergewandert, mitten ins Gelände hinein, wo sich ein großer, dicht belagerter Pool ausbreitete. Marschierte fröhlich und, wie ich feststellen mußte, weiterhin bekleidet zwischen den dicht bei dicht Liegenden einher - je näher zum Pool, desto dichter -, bis sie sich schließlich niederließen, zwischen den am Boden Liegenden verschwanden und ich die Wahrheit erkennen mußte: Der einzige nackte Mann, der hier stand, war ich selber.
    Es gibt in der Münchner Glyptothek einen Hodenschreck, wie ich ihn immer genannt hatte, lebensgroß, hellenistisch, etwa 600 v. Chr., der hundert Schritt vom Eingang den unvorbereiteten Besucher mit gespreizten Beinen in einem Eckraum empfängt. Es ist, zugegeben, ein schönes Gemächt, ein großartiges Gemächt, das er da in weißem Marmor dem Besucher präsentiert. Aber eigentlich hatte er immer mein Mitgefühl geweckt, weil ihm nichts anderes übrig bleibt, in dem Eckraum, als es zu zeigen. Ob ihm das recht ist?
    Jetzt wußte ich es. Irgendwie - wie, weiß ich nicht mehr - schaffte ich es, mich durch die Lücken der Liegenden zu drücken. Jemand sagte etwas, das ich aber nicht hörte, merkwürdigerweise war mir das Ganze aufs Gehör geschlagen, ich hörte auch keine Glocken mehr. Suchte mir einen stillen Platz in einer fernen grünen Ecke des Geländes, wo ich mich dann für den Rest des Tages nicht mehr rührte. Blickte nur noch auf Grashalme. Insgesamt aber erfüllte mich eine große Erleichterung, so als ob ich einer Lebensgefahr entronnen war - was ja auch stimmte.
    In der Nacht in meinem kühlen Schlafzimmer schlief ich traumlos und völlig erschöpft. Erst am Morgen, kurz vor dem Aufwachen, träumte ich von dem Mann im Wald: Ein nackter Mann lief im Wald umher, der trug nicht nur einen irren Blick, sondern auch einen fußlangen Bart, den zog er sich zwischen den Beinen hindurch über seinen Hintern, um ihn dann vorne über dem Bauch zu verknoten. Was soll ich sagen, der Mann war komplett angezogen. Im Traum.
    *

    Aber der Mittwoch.
    Am Mittwoch war alles anders. Gelassen durchschritt ich die Kassenschranke, schlenderte gelassen durch die Menge der Badeanzüge und Badehosen. Obwohl noch früher Vormittag, stand die Sonne schon gleißend hoch und versprach einen schönen Tag. Es wurde Boccia auf dem Rasen gespielt, Kinder liefen kreuz und quer, und da lagen sie, die Angezogenen, vor dem Bretterzaun, hatten ihre Badeausstattungen um sich ausgebreitet, ihre Eßkörbe, Sonnenöl und Sonnenhüte - und auch ihre Scheu vor dem Bretterzaun, die ich nachempfinden konnte, der ich hier durch die Angezogenen schritt. Leichthin. Die Wiese roch, irgendwo schwangen sich wieder Glocken, fernes Rauschen der Stadt.
    So einfach war das.
    Mein Eintritt gestaltete sich entsprechend undramatisch, fast neutral, und es dauerte einen Augenblick, bis ich den Grund erkannte: die Richtung. Jetzt in der Morgenstunde schien die Sonne aus einem fast hundertachtzig Grad versetzten Winkel, alle Füße, alle Beine wiesen von mir weg, alle Sonnenbrillen blickten sämtlich in Gegenrichtung. Während ich meine grüne Ecke aufsuchte, jawohl, wo ich mich ins Gras fallen ließ und (dann erst!) meine Kleider ablegte.
    So einfach.
    Ich habe mic h
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