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Die Schule der Nackten

Die Schule der Nackten

Titel: Die Schule der Nackten
Autoren: Ernst Augustin
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es natürlich nicht, aber im Prinzip doch.
    Vorhäute! Hatte man die Vision von Schießapparaten, so drängte sich andererseits der Vergleich von Kartuschen auf. Ein weiteres bedrohliches Kapitel. Ich weiß, ich hätte ja nicht hinzuschauen brauchen, aber zwangsmäßig sah ich überall lange Zipfel herunterhängen, unnötige Länge vortäuschend, oder auch ganz lange, in denen anscheinend gar nichts enthalten war. Und als Gegenstück sah ich dann die knappen, die kaum die Eichel bedeckenden, die ganz knappen Vorhäute, die man hätte zurechtziehen müssen (auf die rote Eichel). Oder gar keine. Von dieser Sorte zählte ich vier.

    *

    Zipfelmänner, Eichelmänner, Dialektmänner, Oben- und Untenliegende, Glänzende und Stumpfe. Daß Alexander schließlich doch noch das rettende Naß erreichte, ist schon fast ein Wunder zu nennen, der Geschichtsschreibung zufolge hat er sich mit dem Ausruf «Thalatta, Thalatta» kopfüber in die Fluten gestürzt. Als Vereinigung und Vermählung mit dem Element.
    Soweit es geschrieben steht. Vorher allerdings war noch das letzte Bollwerk zu überwinden, der innerste Ring, die unbezwingliche Gürtelzone direkt am Schwimmbecken. Hier war kein Fußbreit frei gewesen, hier lagen die Badematten dicht bei dicht, Naht an Naht, streng mit dem Fußende zum «Pool» hin ausgerichtet. Hier hatten anscheinend vom frühesten Morgen an gnadenlose Kämpfe stattgefunden. Und nur die Besten - wehe euch -, nur die Härtesten, Erfahrensten, die bis auf die Knochen braun Verlederten hatten sich hier behaupten können. Ich sah Gestalten, wie sie nur in den Alpträumen von Freizeitanimationen erscheinen, Gesichter wie Streitwagen mit tiefen Löchern in den Wangen, Nasen wie Lanzen, Kinnladen wie Äxte, und das Ganze zu heißem Dörrfleisch verarbeitet. Ich sah Junge mit den Ackerfurchen der Uralten, und Alte, die bereits zu Präparaten geworden waren. Ich sah die ganze tiefgebräunte Phalanx.
    Die stählerne Reihe.
    Vielleicht, daß es tatsächlich irgendwo einen Zugang zum Wasser gegeben hatte, den ich nur nicht entdecken konnte, ich weiß es nicht - das heißt, heute weiß ich es -, aber damals, so dicht vor dem Ziel, so nahe dem Erstrebten, machte ich mich eines furchtbaren Übergriffs schuldig (beging ich ein Verbrechen): Ich trat auf ein Badetuch, es war ein grauweißgrünes, darstellend einen Delphin. Wohlgemerkt nur auf den äußersten Rand trat ich, und es war ein sehr großes Badetuch - der Mann hätte ja auch ein kleineres hinlegen können. Jedenfalls werde ich den Ausdruck äußersten Unglaubens, ja Entsetzens nie vergessen, das weißgeränderte Auge, es war nur eines zu sehen, der Mann lag auf dem Bauch. Auge eines sterbenden Pferdes. Darauf konnte ich aber, überm Wasser balancierend, leider keine Rücksicht mehr nehmen.
    Und dann: Halloh!
    Herrgott, ahhh, die Kühle, die Erlösung, die ungeheure Entspannung. Hallohhh!! Das Wasser war wunderbar hellblau und seidig, ein Luxus allerersten Ranges, und es umspülte, umhüllte meine Glieder, meinen untrainierten Brustkorb bis zum Hals. Hall-lohhhh!!!
    Ich sagte: «Was?»
    «Haben Sie keine Ohren! Sie plantschen mir die ganze Zeitung voll!»
    Da hatte er recht, ich hatte ihm die ganze Zeitung vollgeplantscht, war jedoch viel zu glücklich, um jetzt noch auf irgendwelche Gefühle oder Regungen oder Ansprüche irgendwelcher Art Rücksicht zu nehmen. Da konnte ich auch einmal grausam sein.

    *
    Am Abend, vor dem Spiegel, sah ich knallrot aus. In dem späten Licht, das vom Westen her glühend im Fenster lag. Besonders knallrot die Rückseite, ich hatte mir einen riesigen Sonnenbrand zugezogen.

2

    München ist eine exotische Stadt. Dem Reisenden, der, aus dem Zug steigend, den ersten Atemzug tut, wird es wie Seefahrern früherer Zeit ergehen, die den fremden Kontinent noch nicht sehen, aber bereits riechen konnten. Es ist das unvergleichliche Gemisch von gekochtem- Kraut, Wurstwasser, Rettich und feuchtem Loden. Und von Bier natürlich, das unterirdisch in riesigen Fässern gelagert wird. Gelegentlich in großen Mengen fließt. Es sind aber noch weitaus subtilere Beimengungen enthalten, die fleißigen Gerüche, die aus dem Untergrund herauf streichen. Die Back- und Selchgerüche, die Leder-, Schneider-, Friseurgerüche, Theatergerüche. Es riecht stark nach den Gemüsekellern, wo die Knollen, Wurzeln und Rüben verkauft werden zusammen mit den - das ist auch eine Eigenheit - einhundert Käsesorten aus dem benachbarten Allgäu (große
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