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Titel: Plattform
Autoren: Michel Houellebecq
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Kälte drang in den Wagen ein. Vom Kopf her gelang es mir, eine gewisse Anziehung für die Scheide muslimischer Frauen zu empfinden. Ein wenig gezwungen lächelte ich. Da lächelte auch sie, aber offener. Ich drückte ihr lange die Hand, spürte die Wärme ihrer Finger, ich drückte sie so lange, bis ich fühlte, wie das Blut sanft in der Höhlung des Handgelenks pochte. Ein paar Meter vom Auto entfernt drehte ich mich um und winkte ihr leicht zu. Immer hin hatte eine Begegnung stattgefunden; immerhin hatte sich schließlich etwas ereignet.
        Als ich mich im Zugabteil niederließ, sagte ich mir, ich hätte ihr Geld geben sollen. Andererseits hätte sie das wahrscheinlich falsch ausgelegt. Seltsamerweise wurde mir in diesem Augenblick zum erstenmal bewußt, daß ich bald ein reicher Mann sein würde; na ja, ein relativ reicher Mann. Die Überweisung von den Konten meines Vaters war bereits erfolgt. Ansonsten hatte ich eine Autowerkstatt mit dem Verkauf des Wagens und einen Häusermakler mit dem des Hauses beauftragt; alles war sehr einfach vonstatten gegangen. Der Wert dieser Güter wurde durch die Gesetze des Marktes festgesetzt. Natürlich war da noch Verhandlungsspielraum: 10% in beiden Fällen, mehr nicht. Der Steuersatz war ebenfalls kein Geheimnis: Man brauchte nur die sehr gut gemachten kleinen Broschüren lesen, die auf dem Finanzamt auslagen.
        Vermutlich hatte mein Vater mehrfach daran gedacht, mich zu enterben; letztlich hatte er anscheinend darauf verzichtet. Er hatte sich wohl gesagt, daß es zu kompliziert war und zu viele Formalitäten erforderte, und das alles für ein unsicheres Ergebnis (denn es ist nicht einfach, seine Kinder zu enterben, das Gesetz bietet einem nur begrenzte Möglichkeiten: Die kleinen Drecksäcke versauen einem nicht nur das Leben, sondern anschließend profitieren sie auch noch von allem, was man unter Aufbietung größter Anstrengungen hat zur Seite schaffen können). Er hatte sich wohl vor allem gesagt, daß sich die Sache einfach nicht lohnte - denn was konnte ihn das schon kratzen, was nach seinem Tod geschah. So hatte er meiner Ansicht nach argumentiert. Wie dem auch sei, der alte Arsch war tot, und ich würde das Haus verkaufen, in dem er seine letzten Jahre verbracht hatte; ich würde ebenfalls den Toyota Land Cruiser verkaufen, der ihm dazu gedient hatte, Sechserpacks Evian aus dem Supermarkt Casino Géant in Cherbourg nach Hause zu bringen. Was hätte ich, der ich in der Nähe des Jardin des Plantes wohne, schon mit einem Toyota Land Cruiser anfangen sollen? Ich hätte mit Ricotta gefüllte Ravioli vom Markt in der Rue Mouffetard nach Hause bringen können, das war auch schon fast alles. Bei Erbschaft in direkter Linie ist die Erbschaftssteuer nicht sehr hoch - selbst wenn die Gefühlsbande ihrerseits nicht sehr stark gewesen sind. Nach Abzug der Steuern konnte ich etwa drei Millionen Franc dabei herausschlagen. Das entsprach etwa dem Fünfzehnfachen meines Jahresgehalts. Das entsprach auch dem, was ein unqualifizierter Arbeiter in Westeuropa im Laufe eines Arbeitslebens hoffen konnte zu verdienen; das war gar nicht so schlecht. Fürs erste war ich damit aus dem Schneider. Das war einen Versuch wert.
        In ein paar Wochen würde ich sicherlich einen Brief von der Bank erhalten. Der Zug näherte sich Bayeux, ich konnte mir schon den Ablauf des Gesprächs vorstellen. Der gut geschulte Sachbearbeiter in meiner Zweigstelle würde einen hohen Saldo auf meinem Konto bemerken und den Wunsch zum Ausdruck bringen, sich einmal mit mir zu unterhalten - wer benötigt nicht irgendwann in seinem Leben einen Anlageberater? Ein wenig mißtrauisch würde ich einer sicheren Anlage den Vorzug geben wollen; er würde diese - so weit verbreitete - Reaktion mit einem leichten Lächeln quittieren. Die meisten unerfahrenen Investoren, das wußte er nur zu gut, legten größeren Wert auf die Sicherheit als auf die Rendite; im Kollegenkreis machten sie sich oft darüber lustig. Ich solle ihn nicht falsch verstehen: In Sachen Vermögensverwaltung verhielten sich ältere Leute wie blutige Anfänger. Was ihn angehe, wolle er sich bemühen, meine Aufmerksamkeit auf ein etwas anderes Vorgehen zu lenken - wobei er mir selbstverständlich genug Zeit lassen werde, um darüber nachzudenken. Wie wäre es, wenn ich zwei Drittel meines Guthabens in eine Anlage ohne böse Überraschungen, aber mit geringer Rendite investierte? Und das letzte Drittel für eine Anlage verwendete, die zwar
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