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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel
Autoren: Anna Stothard
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in die Augen.
    »Tage vergingen, bis ich mich daran erinnerte, dass jemand mit Lilys
Koffer weggegangen war«, sagte Richard. »Als ich nach all dem fehlenden
Papierkram suchte – zack! –, fiel mir plötzlich ein geisterhaftes Kind in
unserem Schlafzimmer ein, das einen Koffer in der Hand hielt. In diesem Koffer
lagen die Kaufverträge für das Pink Hotel, verstehst du? Dadurch wurde mein
Leben zum Alptraum. Es dauerte einen Monat, bis ich den Koffer selbst holen
konnte, weil ich Insolvenz anmelden musste und einen Haufen Stress hatte. Wie
sich herausstellte, schuldete ich zu vielen Leuten Geld, deshalb hätte ich das
Hotel verkaufen müssen, selbst wenn ich es geerbt hätte.«
    »Du hast es nicht geerbt?«, wollte ich wissen.
    »Du hast dir die Unterlagen nicht durchgelesen?«, fragte er zurück.
    »Da war allerhand juristischer Kram,
aber das war mir zu hoch.«
    »Lily erbte das Hotel von einem Typen, den sie gepflegt hat, einem
gewissen Teddy Fink. Bist du so weit gekommen?«
    [339]  »Nein. Ich sag doch, ich hab sie nicht gelesen. Ich hab die
Weihnachtskarten gelesen und ein Foto von Teddy Fink gesehen, und ich weiß,
dass er gestorben ist, aber ich wusste nicht, dass er ihr bei seinem Tod
irgendwas hinterlassen hat.«
    »Es lief immer auf ihren Namen. Und weil wir bei ihrem Tod
geschieden waren, fällt das Hotel nicht an mich, sondern an ihren nächsten
Verwandten. Und das bist du.«
    Mein verständnisloser Gesichtsausdruck überraschte ihn. Seine Worte
schwebten noch eine Weile in der Luft, und ich hatte Mühe, eine neue Packung
Zigaretten aus Lilys Wildledertasche zu öffnen. Ich steckte mir eine in den
Mund.
    »Ich dachte, das wüsstest du«, sagte er.
    »Hätte dann nicht jemand versucht, Kontakt zu mir aufzunehmen?«, sagte
ich.
    »Ich glaube, der Anwalt hat auf dem AB deines Vaters Nachrichten hinterlassen«, antwortete Richard. »Aber du bist
nicht leicht aufzuspüren, wie ich inzwischen weiß.«
    »Aaron Soto?«
    »Genau der.«
    »Bist du sauer?«, fragte ich Richard, als diese Information langsam
zu mir durchdrang.
    »Mir sind die Hände gebunden. Vielleicht hätte ich das Testament
angefochten, wenn ich die Scheißunterlagen gehabt hätte, als ich sie brauchte.«
Er zuckte die Achseln. »Aber dann war es zu spät, ich musste Insolvenz anmelden,
und danach war es eigentlich egal. Den [340]  Koffer habe ich mir aus sentimentalen
Gründen geholt. Jedenfalls muss ich nicht zum ersten Mal bei null anfangen.
Wahrscheinlich ist es besser so.« Er hielt inne, und als er sich mir zuwandte,
war sein Blick beinahe freundlich. »Eigentlich habe ich den Koffer nur geholt,
weil ich meine Erinnerungen wiederhaben wollte.«
    Julie hatte mir erzählt, dass Richard einmal Gebrauchtwagen verkauft
hätte, und genau so kam er mir jetzt vor, wie ein Gebrauchtwagenhändler. Er war
zwar charmant, wie Miranda sagte, aber verschlagen. Zwar wirkte er auch nicht
so furchteinflößend, wie ihn die Leute immer wieder schilderten, doch ich
konnte mir vorstellen, dass er noch eine ganz andere Seite hatte. Ich wünschte,
David wäre da: Er wüsste genau, was zu sagen wäre. Neben meinen Füßen krabbelte
ein Gecko, seine Haut schimmerte, und er war so dermaßen geckomäßig und einfach
perfekt. Dabei musste ich an eins meiner Lieblingswörter denken, das Opa mir
beigebracht hatte: »Charakteristikum«. Das ist so etwas Ähnliches wie »Essenz«,
nur besser. Es ist ein Wort, das selbst zeigt, was an guten Wörtern so
ansprechend ist. Ein gutes Wort erfasst das Charakteristikum seiner Bedeutung,
das Träufelnde am Träufeln und das Fluoreszierende am fluoreszierenden Licht.
Das Geckohafte am Geckosein. Das Problem ist nur, dass in der Realität alles so
viel komplizierter ist. Es ist schwierig zu bestimmen, was einen Menschen, eine
Beziehung oder auch nur Gespräch in seinem Wesen ausmacht, denn kaum gelingt es
einem, verschiebt sich dieses Wesen ein wenig, und das Charakteristische ist
etwas anderes.
    [341]  »In der Nacht, als sie starb, war sie nicht glücklich. Wir
ordneten unsere Angelegenheiten, teilten auf, sprachen eigentlich kaum. Es wäre
vielleicht besser gewesen, wenn wir uns gestritten hätten. Dann hätte sie Dampf
ablassen können.«
    »Was genau ist geschehen?«, fragte ich.
    »Sie fuhr viel zu schnell, bog um eine scharfe Kurve und stieß mit
einem Besoffenen in einem dicken Wagen zusammen, der in dieser Nacht zufällig
gerade da draußen war. Und das war’s dann. Gewöhnlich ist hier draußen niemand.
Es war
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