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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel
Autoren: Anna Stothard
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anlächelte.
    »Na dann, doch noch hallo«, murmelte er. Ich kniff die Augen halb
zusammen. Er betrachtete mich noch ein Weilchen durch die Sonnenbrille, drehte
sich dann unvermittelt um und ließ die Tür offen, damit ich ihm folgte. »Komm
am besten rein, draußen ist es viel zu heiß«, sagte er mit seinem nasalen New
Yorker Tonfall, als er das Zimmer durchquerte, die Brust rausgestreckt und die
Hände zu Fäusten geballt, wie schon auf der Totenwache.
    Auf der Türschwelle zögerte ich kurz, sah dann aber Lilys roten
Koffer mitten auf dem Wohnzimmerboden liegen. Der »charmante« Mann war also
offenbar doch Richard gewesen, nicht David. Lilys Kleider, Stiefel,
Weihnachtskarten, Briefe und alles Übrige lagen vor einem Kamin auf einem
schmutzigweißen Teppich aus grober Wolle. Von der Tür aus roch es im Bungalow
leicht nach Farbe, ein bisschen so wie Laurence’ Finger immer gerochen hatten,
wenn er durch London gezogen war und seine Tags überall hingesprayt hatte. Die
Haustür führte direkt in eine Kochnische, man konnte aber über die Anrichte hinweg
in ein unordentliches Wohnzimmer sehen. Auf dem Kaminsims stand eine [330]  ausgestopfte
Krähe, ein ausgestopfter Adler auf dem Couchtisch. Der Schnabel der Krähe war
wie in einem arroganten Lächeln aufwärtsgebogen, und eine Perlenkette glitzerte
um ihren Hals. Bierflaschen standen herum, einigen hatte man Kerzen in den Hals
gesteckt, andere waren zerbrochen und dienten als Aschenbecher. An einer Wand
hing eine riesige Straßenkarte, vollgekritzelt wie in Lilys Koffer mit
Erinnerungsstücken.
    Es war weniger der Koffer als die Straßenkarte, die mich schließlich
bewog, Richard in den Bungalow zu folgen. Die Karte an der Bungalowwand war von
Kalifornien, und als ich näher kam, sah ich, dass der Küstenverlauf das
Rückgrat einer nackten Frau bildete, deren angezogene Knie oben in der Nähe der
Staatsgrenze zu Nevada waren, im Death Valley National Park. Eine ihrer
Brustwarzen bildete offenbar den Lake Tahoe. Der Kopf der Frau ragte nach
Oregon hinein bis hin zu dem Ort Eureka, was irgendwie witzig war. Aus alten
Lautsprecherboxen in einer Ecke drang leise Jazzmusik, und der Mann mit dem
Nasenpiercing war wohl durch eine der vom Wohnzimmer abgehenden Türen
verschwunden. Außer den Sachen, die ich schon aus dem Koffer kannte, lagen im
Bungalow noch mehr Dinge herum, die auf die – vormalige – Anwesenheit einer
Frau hindeuteten: ein Armband auf der Anrichte, Feuchtigkeitscreme und ein
Lippenstift auf dem Boden neben dem Sofa. Auf dem Couchtisch, bei Lilys anderen
Fotos, lag auch das von ihr und ihrem Bike unter dem Schild von Eagle Motorcycles.
Man sah kaum mehr als die taubenblauen Mauern, eine Tür und das verstaubte
Schild, aber [331]  ich wusste jetzt, dass sich hinter ihr die Wüste erstreckte. Lilys
Gesichtsausdruck war sinnlich, aber irgendwie auch ungeduldig, als könne sie es
kaum erwarten, eine Spritztour zu machen. Daneben waren die mit erotischen
Kritzeleien bemalten Straßenkarten, Teddys Weihnachtskarten, die juristischen
Unterlagen und die Liebesbriefe ausgebreitet.
    Im Bungalow war es dunkel, doch an einer der Wände zeichnete sich
das helle Rechteck einer offenen Schiebetür ab, die auf einen Innenhof aus
festgestampftem Sand führte. Halbierte Autoreifen steckten als Begrenzung im
Boden. Aus einer wurmstichigen Holztür hatte man einen Tisch gebastelt, der
über und über von Motorteilen wie Federn, Zahnrädern und verschieden großen
Schrauben bedeckt war. Zwei Metallstühle standen an den Seiten; ein weit
ausladendes Metalldach warf Schatten auf den Innenhof. Richard saß bereits auf
einem der Stühle, drehte sich aber weder um, noch bot er mir den anderen Stuhl
an.
    »Ich tu dir schon nicht weh«, sagte Richard, ohne mich anzusehen.
»Jorge auch nicht. Ich wollte nur Lilys Sachen wiederhaben. Das ist doch nicht
zu viel verlangt.«
    »Du hast deinem Freund aufgetragen, mich auszurauben«, wandte ich
ein.
    »Sei nicht so melodramatisch«, sagte Richard. »Ich hätte nie
zugelassen, dass jemand Lilys Tochter etwas antut. Er sollte bloß mein Eigentum
zurückholen.«
    »Warum hast du mit dem zweiten Versuch so lange gewartet, obwohl du
wusstest, wo der Koffer war?«
    »Jorge war eindeutig nicht sehr erfolgreich. Ich musste [332]  mich dann
erst mal um meinen eigenen Kram kümmern, aber als ich in das Hostel kam,
brauchte ich nur darum zu bitten, und schon rückte die nette Dame den Koffer
raus. War ganz einfach.«
    »Ich hab versucht,
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