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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel
Autoren: Anna Stothard
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[5]  1
    Die Luft in ihrem Schlafzimmer roch abgestanden nach
Zigaretten und Parfüm. Zwei Aschenbecher quollen über mit Filtern voller
Lippenstiftspuren, als wäre sie nur mal eben weggegangen, ein neues Päckchen
holen. An einer Kommode hing ein Strapsgürtel, eine Nerzstola lag
zusammengerollt wie ein überfahrenes Tier neben dem Bett auf dem Boden. Ein
Spiegel an der Wand gegenüber warf mein Bild zurück, angezogen auf den
zerknitterten Laken liegend, irgendwie fehl am Platz. Mein Haarschnitt und mein
Körper hätten der eines Jungen sein können, doch mit meinen großen Augen glich
ich eher einer mittelalterlichen Madonna auf einer Kunstpostkarte. Ich trug
dunkelblaue Jogginghosen und ein verschwitztes T-Shirt. Meine Haut roch noch
immer schwach nach Kaffee und dem Dunst der Fritteuse aus Dads Café in London,
mittlerweile überlagert von verbrauchter Flugzeugluft und dem Smog von Los
Angeles.
    Lily blickte mich von überall her aus gerahmten Fotos an. Auf einem
stand sie in Lederjacke neben einem Motorrad, auf einem anderen hockte sie in
weißem T-Shirt und Bikini im Schneidersitz unter einem Baum in der Sonne und
lachte in die Kamera. Auf einem [6]  dritten war sie nackt bis auf den knallroten
Lippenstift und einen breitkrempigen Sonnenhut; ihre Haut war albinoweiß, genau
wie meine, mit vier runden dunklen Flecken: große Augen und dunkelbraune
Brustwarzen. Allerdings hatte sie auf dem Foto schwarze Haare, während meine
von Natur aus blond sind.
    Ich stand von ihrem Bett auf und schnappte mir vom Schminktisch
neben der Tür eine Whiskeyflasche. Gläser waren keine da, also nahm ich einen
Schluck aus der Flasche und tappte barfuß am Bett entlang Richtung Bad. Neben
der Toilette lag ein Spitzenhöschen, und ich achtete darauf, dass es meine
bloßen Füße nicht streifte, als ich mich zum Pinkeln hinhockte. Ihr
Schlafzimmer befand sich ganz oben in einem pinkfarbenen Hotel in Venice Beach,
Los Angeles. Die Beerdigung war am Vormittag gewesen, aber ich hatte es nicht
mehr rechtzeitig ins Krematorium geschafft. Zu der Zeit, als ich in Venice
Beach eintraf, war Lilys Totenwache bereits in eine Art Orgie ausgeartet, mit
über zweihundert Leuten, die im ganzen Hotel verteilt tanzten und redeten und
koksten und tranken. Niemand wusste, wer ich war, also wanderte ich herum, mein
abgegriffenes Basecap tief im Gesicht, wie ein Kind auf einer Cocktailparty.
Ich sah lange Fingernägel und feuchtglänzende Lippen, geweitete Pupillen und
knochige Schultern; ab und zu blitzten unwirklich weiße Zähne auf. Aus einer
eisgefüllten Badewanne nahm ich mir ein Bier, lief damit ziellos durch alle
fünf Etagen und beobachtete die Leute: Ein unrasierter Riese nahm gerade einen
tiefen Schluck aus einer Wodkaflasche, während eine abgemagerte, nicht mehr
ganz junge Frau [7]  mit geschlossenen Augen mitten im Raum tanzte. Etwas abseits
stand ein rothaariger Mann mit spitzen Schlangenlederschuhen, das weiße Hemd
halb aufgeknöpft. Um ihn herum hatten sich ein paar Leute geschart, und seine
sommersprossigen Hände ballten sich zu Fäusten, während er mit ihnen sprach.
    »Ich glaub’s einfach nicht«, sagte eine Frau zu dem Rothaarigen.
    »Und ich denke dauernd, sie ist einfach nur spät dran«, antwortete
er und presste die Finger erneut zu einer gesprenkelten Faust zusammen.
    »Ach, Schätzchen.« Wieder die Frau. »Sie war immer zu spät,
stimmt’s? Selbst ihre eigene Beerdigung hätte sie verpasst.«
    »Zu unserer Hochzeit kam sie jedenfalls zu spät«, sagte der Mann.
»Angeblich hatte sie keine passende Unterwäsche gefunden.« Er rang sich ein
gequältes Lächeln ab, und einige der Umstehenden schmunzelten traurig. Der
Rothaarige näselte wie Bugs Bunny, wohl ein New Yorker Akzent.
    »Ihr wart so’n tolles Team«, sagte jemand zu ihm.
    Ich blieb noch einen Moment stehen und sah zu dem verschwitzten
Rothaarigen hinüber. Als er sich von mir abwandte, konnte ich dem Gespräch
nicht länger folgen, und so setzte ich meinen Weg durch den bunten Trubel
Trauernder fort, stieg Etage um Etage höher, bis ich schließlich ganz oben vor
einer Tür mit dem Schild »Privat« stand. Durch das Schlüsselloch konnte ich ein
Fahrrad und ein Paar Inlineskates erkennen. Ich hatte erwartet, dass abgeschlossen
sei, aber die Tür klemmte [8]  nur ein wenig und öffnete sich mit einem
langgezogenen Quietschen auf die kahlen Holzdielen eines engen Flurs, in dem es
ungelüftet und nach Raumspray roch. Trotzdem atmete ich auf, als die Tür
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