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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel
Autoren: Anna Stothard
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Lilys Bett gefunden
und wieder verloren hatte, als mein Rucksack gestohlen wurde. Es gab eine ganze
Reihe solcher Bücher, und ich blätterte ihre brüchigen Seiten durch: Eins hieß Der gefesselte Prometheus, mit dem Bild eines nackten
Mannes in Handschellen, ein anderes Leda; auf dem
Cover sah man ein Wesen, das halb Mann, halb Schwan war. Ich blätterte in
Büchern über Astronomie und über Kunstgeschichte. Einige der Sachen waren von
den Regalbrettern heruntergefallen, wie die Gratistasse einer Tankstelle, deren [326]  Scherben neben dem rosa Gehäuse einer Meeresschnecke auf dem Boden lagen.
Ich berührte den glatten Sitz eines Bikes. Vielleicht war sie auf einer der
beiden Maschinen gestorben.
    »Verzeihung, ist jemand da?«, sagte ich ins Nichts und fragte mich,
wo und ob ich in der kommenden Nacht schlafen würde. Vermutlich blieb ich in
der Werkstatt, es würde aber kalt werden. Als ich mich nach Decken umsah, fand
ich ein paar Plastikplanen mit ausgefransten Rändern. Zitternd befingerte ich
ein Stück glattes Metall mit einer Schweißnaht auf einer der Werkbänke. Es
schimmerte bunt an einigen Stellen und lag schwer in der Hand.
    Außer den beiden Fenstern neben dem Eingang gab es am anderen Ende
der Werkstatt noch ein kleineres. Es zeigte zu meiner Überraschung auf einen
Bungalow direkt hinter der Werkstatt, der von der Straße aus nicht zu sehen
war. Davor standen Gartenmöbel, einschließlich eines rostigen Grills und
einiger verwitterter Grillutensilien. Etwas, das aussah wie ein ausgetrockneter
Gartenteich, war ein Plastikruderboot, das halb im Sand versunken war. Es wurde
später Nachmittag, und die Farbe verschwand allmählich aus der Wüste. Die
weitläufige Sandfläche um das Gebäude herum glich ein wenig einer Lagune, und
das Boot hätte auch ein Schiff bei Ebbe sein können. Fahrzeuge waren keine zu
sehen, vermutlich würde der Bungalow genauso leer sein wie die Werkstatt.
    Ich ging zu einem Maschendrahttor, durch das man einen Garten voller
Kakteen und Gestrüpp betrat, ein [327]  wenig wie der Garten in meinem Geckotraum.
In dem Bungalow hinter dem Maschendraht waren die Fenster dunkle Löcher, und
ich klopfte zögernd an, ehe ich die Türklinke versuchte. ›Anomalität‹, dachte
ich. ›Epauletten, Impertinenz‹, und stellte mich auf die Zehenspitzen, um durch
ein kaputtes Fenster zu schauen. Durch die Scheibe sah ich nichts, weil es
drinnen dunkler war als draußen, und das Sonnenlicht malte Regenbögen auf das
Glas. Woraus besteht Glas? Nur aus Sand? Es war ein kleines Fenster, etwa so
groß wie ein Blatt Papier im A3-Format, und ich spürte, wie das Licht auf
meinem Gesicht reflektierte.
    »Hallo?«, sagte ich, hauptsächlich zu mir selbst. Dann, als sich
meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, erkannte ich im Inneren des Bungalows
die Umrisse eines Mannes, der mir offenbar direkt in die Augen sah.

[328]  41
    Einen Moment dachte ich, der Mann hinter dem
Bungalowfenster könnte David sein, und trat zurück, wobei ich fast über einen
Stein hinter mir stolperte. Als sich meine Pupillen an das Licht gewöhnten, erkannte
ich den Mann mit der Schuljungenfrisur, der meinen Rucksack geklaut hatte. Er
lächelte mich durch die Scheibe an, und statt wegzulaufen, sah ich mich geistesabwesend
nach den weit entfernten Rauchfahnen um.
    »Hola«, sagte der Mann durch das Glas. »Wie bist du hergekommen?«
    Er verschwand vom Fenster. Ich überlegte, ob ich abhauen sollte,
vielleicht zu dem 99-Cent-Taco-Laden, oder versuchen sollte, einen anderen
Bungalow zu finden, doch ich rührte mich nicht vom Fleck.
    »Rat mal, wer an der Tür ist!«, rief der Dieb nach hinten in den
dunklen Raum. Nach einer Pause, während der man drinnen Türen öffnete und
Sachen herumschob, wurde die Haustür entriegelt und einen Spaltbreit geöffnet.
Ich stand drei Meter von der Tür entfernt, meine Pumps in den Sand gestemmt. Er
hatte Löcher in den grauen Tennissocken und eine ausgefranste lange Leinenhose
an, deren Saum im Staub schleifte. Sie war ihm zu groß, und das weiße Unterhemd
am Ausschnitt gelblich. [329]  Seine goldene Halskette klebte in den Brusthaaren.
Die Andeutung eines Lächelns erschien und verschwand wieder in seinem aufgesprungenen
Mundwinkel. Er setzte sich eine Sonnenbrille mit kleinen Gläsern auf die grünen
Augen. Die roten Haare waren länger als noch bei der Totenwache, und er hatte
jetzt einen Bart. Er ließ sich Zeit, musterte mich interessiert von Kopf bis
Fuß, ehe er mich
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