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Grischa: Der allzu schlaue Fuchs: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)

Grischa: Der allzu schlaue Fuchs: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)

Titel: Grischa: Der allzu schlaue Fuchs: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)
Autoren: Leigh Bardugo
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Die erste Falle, der unser Fuchs entkam, war der Schlund seiner Mutter.
    Nachdem sie sich von der Geburt erholt hatte, ließ Mutter Fuchs seufzend den Blick über ihre Welpen gleiten. Es wäre anstrengend, so viel Nachwuchs zu füttern, und überdies hatte sie nach all der Mühe einen Bärenhunger. Deshalb schnappte sie sich zwei der schmächtigsten Welpen und fraß sie ohne viel Federlesens. Unter den beiden verbarg sich ein klitzekleines Füchslein mit gelben Augen und einem Pelz mit vielen kahlen Stellen.
    »Ich hätte dich zuerst fressen sollen«, sagte sie. »Denn du hast sowieso ein klägliches Leben vor dir.«
    Zu ihrer Überraschung erwiderte das Füchslein: »Bitte friss mich nicht, Mutter. Besser, du bleibst jetzt hungrig, als dass du später deine Tat bereust.«
    »Besser, ich fresse dich gleich, um mir später deinen Anblick zu ersparen. Was werden die anderen Tiere wohl zu einem Gesicht wie dem deinen sagen?«
    Ein weniger gewieftes Geschöpf wäre angesichts einer solchen Grausamkeit wohl verzweifelt, aber das Füchslein erriet anhand des sorgsam gepflegten Pelzes und der schneeweißen Tatzen seiner Mutter, dass diese sehr eitel war.
    »Ich weiß, was die Tiere sagen würden«, erwiderte es. »Wenn wir beide durch den Wald laufen, wird es heißen: ›Seht euch das an! Ein so hässlicher Welpe und eine so hübsche Mutter!‹ Und wenn du alt und grau bist, werden sie nicht darüber lästern, wie viele Jahre du auf dem Buckel hast, sondern sich verwundert fragen, wie du einen so hässlichen Wurm von Fuchs zur Welt bringen konntest.«
    Die Mutter dachte darüber nach und beschloss dann, doch nicht so hungrig zu sein.
    Mutter Fuchs hatte sich die Mühe erspart, dem Füchslein einen Namen zu geben, weil sie davon ausgegangen war, dass es vor Ablauf eines Jahres sterben würde. Doch als der Welpe nicht nur den ersten, sondern auch den zweiten Winter überstand, brauchte er einen Namen, mit dem die Tiere ihn anreden konnten. Sie tauften ihn scherzhaft Koja – das heißt Hübscher –, und Koja machte bald von sich reden.
    Er war noch nicht ganz ausgewachsen, da wurde er in der Nähe seines Baus von einer Hundemeute vor einem dichten Gestrüpp in die Enge getrieben. Er kauerte sich auf die feuchte Erde und lauschte dem schrecklichen Knurren. Ein weniger gewieftes Geschöpf wäre wohl in Panik geraten, hätte sich wie verrückt um sich selbst gedreht oder einfach darauf gewartet, dass ihm der Meister der Hunde den Pelz über die Ohren zog.
    Doch Koja schrie: »Ich bin ein Zauberfuchs! «
    Der größte Hund lachte bellend. »Wir schlafen vielleicht am Feuer unseres Meisters und fressen die Häppchen, die er uns hinwirft, aber so dumm sind wir nicht. Glaubst du wirklich, wir würden dein Leben verschonen, weil du uns irgendeinen Unsinn versprichst?«
    »Nein«, antwortete Koja so demütig und niedergeschlagen wie nur möglich. »Ihr habt mich geschnappt. Daran ist nicht zu rütteln. Aber ich bin mit einem Fluch belegt worden, der besagt, dass ich vor meinem Tod noch einen Wunsch erfüllen kann. Ihr müsst ihn nur nennen.«
    »Reichtum!«, kläffte ein Hund.
    »Gute Gesundheit!«, bellte ein anderer.
    »Fleisch auf dem Tisch!«, knurrte ein dritter.
    »Ich kann leider nur einen Wunsch erfüllen«, sagte das hässliche Füchslein, »und ihr müsst euch rasch entscheiden, denn wenn euer Meister kommt, muss ich den Wunsch wohl oder übel für ihn verwenden.«
    Da begannen die Hunde zu streiten und zu knurren und nacheinander zu schnappen, und während sie die Zähne bleckten und herumsprangen und miteinander rangen, stahl sich Koja davon.
    An jenem Abend stießen die anderen Tiere, geborgen im tiefen Wald, auf die Geistesgegenwart des Fuchses an. In der Ferne jaulten die Hunde vor der Tür ihres Meisters, frierend, gedemütigt und mit leerem Magen.
    Koja mochte schlau sein, aber manchmal ließ ihn das Glück im Stich. Eines Tages – er floh mit einer fetten Henne in den Fängen von Tupolews Bauernhof – trat er in eine Falle.
    Nach dem Zuschnappen solcher Fangeisen wäre ein weniger gewieftes Geschöpf wohl von Angst überwältigt worden. Es hätte gewinselt und gejault und dadurch den hocherfreuten Bauern auf sich aufmerksam gemacht oder versucht, sich selbst das Bein abzubeißen und sich dadurch zu befreien.
    Doch Koja blieb japsend liegen, bis er Iwan Gostow, den Bären, durch den Wald stapfen hörte. Gostow war ein blutrünstiges Tier, laut und ungehobelt und nicht gern gesehen, wenn gemeinsam gefressen
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