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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel
Autoren: Anna Stothard
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den Koffer zurückzugeben, nur dass du es weißt«,
sagte ich lahm, betrachtete seinen Hinterkopf und dann die staubige Landschaft.
    »Du hast es nicht intensiv genug versucht«, sagte er.
    Richard rollte eine kleine Stahlschraube zwischen Daumen und
Zeigefinger, nahm sich dann eine winzige Nagelfeile. Er hielt die Feile an das
untere Ende der Schraube und betrachtete sie, als wolle er sie abfeilen, tat
aber gar nichts. Im Profil sah er grob, aber auch ein bisschen weibisch aus,
wie eine Art rabiates und gleichzeitig elegantes Wüstenwesen. Auf der Totenwache
hatte er mich an eine Schlange erinnert, doch jetzt sah sein Gesicht weniger
mies und erschreckend aus. Vor dem Bungalow erstreckte sich meilenweit Wüste,
vereinzelt war ein ausgebranntes oder verlassenes Haus zu sehen, die verkohlten
Holzbalken gen Himmel reckend, als wollten sie sich ergeben. Vor einem Haus mit
schiefem Dach stand ein verrosteter Campingwagen, ein anderes war nur noch ein
Skelett, das im Sonnenschein zerfiel.
    »Hast du Lilys Enkidu-Buch gelesen?«, fragte Richard.
    »Ich bin nicht dazugekommen, es zu Ende zu lesen«, antwortete ich.
    »Sie auch nicht«, sagte er. »Warum bist du hier? Ich hätte nicht
gedacht, dass ich tatsächlich noch das Vergnügen haben würde, dich zu treffen.«
    »Ich wollte sehen, wo sie gestorben ist.« Richard [333]  öffnete die
sommersprossigen Fäuste und drehte sich etwas herum, um mich anzusehen.
    »Ich heiße Richard Harris«, sagte er, doch ich nahm weder seine
gesprenkelte Hand, noch setzte ich mich auf den zweiten Stuhl neben ihm. Egal
wie höflich und »charmant« er jetzt zu sein schien, ich musste immer wieder
daran denken, wie er mit kokainverklebter Nase bewusstlos und sabbernd auf Lilys
ungemachtem Bett lag.
    »Kommt man hier noch irgendwie anders weg als mit dem Bus?«, fragte
ich Richard.
    »Du gibst mir nicht die Hand?«
    Ich rührte mich nicht und fasste ihn nicht an. Es kam mir abstoßend
vor, Richard zu berühren, und sei es nur seine Hand. David fehlte mir.
    »Fährt ein Taxi hier raus?«, fragte ich.
    »Das bezweifle ich. Aber Jorge kann dich irgendwohin mitnehmen. Er
wohnt in der Nähe und hat einen Wagen.«
    »Einen grünen Volvo. Ich weiß.«
    »Dreckige Kiste«, sagte Richard. Ich schwieg.
    »Jorge ist ein guter Freund«, fuhr Richard fort. »Er ist ein prima
Kerl. Er stopft die Vögel aus.« Ich zündete mir eine Zigarette an. »Er hätte
dir nicht weh getan. Er wollte nur herausfinden, wo der Koffer war, und ihn mir
wiederbringen.«
    »Wusstest du, dass sie ein Kind hatte?«, fragte ich.
    »Ja.«
    »Hat sie von mir gesprochen?«
    »Sie hat deinen Dad sogar mal gefragt, ob du nach L.A. [334]  kommen dürftest«, sagte Richard. »Sie wollte
mit dir die Universal-Studios-Tour machen oder so was Albernes. Ich hab ihr
Gespräch mit angehört. Dein Dad sagte, wenn Lily nach London käme, könne sie
gern mit dir ins Kino gehen und dich von der Schule abholen und sehen, ob das
funktionierte, aber er würde nicht zulassen, dass sie dir noch mal so weh tat.
Damit waren die Universal Studios gestrichen.«
    »Verständlich«, sagte ich.
    »Aber ja. Ich sah das genauso, um ehrlich zu sein. Er sagte Lily,
sie täte ihm leid, weil sie nicht miterlebte, wie du heranwächst, und daran
würde eine Woche in Los Angeles auch nichts ändern.«
    »Klingt ganz nach Dad«; ich runzelte die Stirn, und Richard sah mich
an. Mir fiel ein, wie verstohlen mich August in jener Nacht in seiner Wohnung
betrachtet hatte, als wüsste er nicht, wo er mich hinstecken und ob er sich mir
gegenüber vertraut oder distanziert geben sollte. Richard verhielt sich
genauso, er sah mich heimlich von der Seite an und tat, als wäre nichts.
    »Hat sie irgendwann noch einmal versucht, mit mir Kontakt
aufzunehmen?«, fragte ich.
    »Sie wäre keine gute Mutter gewesen.«
    »Sie war keine gute Mutter.«
    Ein paar Minuten saßen wir stumm da. Ich legte die Sonnenblume weg.
Sie hatte viele Blütenblätter verloren, und die übriggebliebenen wurden an den
Rändern schon ein wenig braun.
    »Ist das für sie?«, fragte er.
    Ich nickte, doch aus dem Nicken wurde ein [335]  Achselzucken. Ich
dachte an meinen armen Dad, der all die Jahre nichts mit mir anzufangen wusste,
und sah in die sandigen Hügel und zu den ausgebrannten Häusern hinter Richards
kleinem Bungalow.
    »Was ist das hier?«, sagte ich.
    »Eine kleine Geschäftsidee, die vor ein paar Jahren gescheitert
ist«, sagte er mit leisem Bedauern und suchte einen Moment lang meinen
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