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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts
Autoren: Susanne Riedel
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A lakar
Macody hatte ein Haus, das wie eine glitzernde grüne Weintraube in der Biegung
des Flusses lag. Im Wohnzimmer lief Tag für
Tag der Fernseher, und manchmal hörten einsame Spaziergänger sein großes weißes
Rauschen noch um Mitternacht. Es drang aus der verschlossenen Tür und dem
kalten Schornstein, hing für einen schwebenden Moment vor den Fenstern und
breitete sich in der Dunkelheit aus, wo es sekundenlang mit der Strömung
tanzte. Es war ein summendes Haus, ein brausendes Haus, ein Haus aus Tönen,
dessen Nachbild auf dem Wasser zitterte und am Himmel zerstob. Wenn hinter der
Schlafzimmerluke das letzte Licht erlosch, senkte sich endlich Stille über die
Bucht, und in der Finsternis atmeten nur noch die Posthornschnecken und
Flußkrebse. Aber sobald das Röhricht zu knistern begann, schwirrten wieder
Worte und Sätze durch das Morgengrauen. Das weiße Rauschen — Stimmen, die sich
wie Vögel in alle Winde erhoben.
     
    Am Abend, als Alakar Macodys seltsame
Berühmtheit ausbrach, hatte er Teig für Pilzwaffeln angerührt. Im Fernsehen
lief die Titelmelodie von Brainonia, und er stellte seine Taschenuhr
zurück, der Showdown, zuverlässiger als die Zeitansage.
    »Das ist das Kaktusland «, sagte er, als die Hammondorgel
einsetzte, »hier sind aufgerichtet die steinernen Bilder .«
    Schwungvoll wendete er die Waffel, und
durch einen Fettschleier blickte T. S. Eliot auf ihn herab, die Augen dunkel
wie plombierte Zähne.
    »Dies wird ein versilbertes Ja-ahr«,
schmetterten die Glückskäfer, »dies ist Brainonia-a!« Ihre Lorbeerkränze saßen
schief, und sie winkten, als Verna Albrecht auf dem Bildschirm erschien. Aus
der Pfanne starrten Alakar Macody Samtfußrüblinge an.
    »Na«, sagte er, »wie fühlt man sich als
kleiner Nichtsnutz in dieser ungewöhnlichen Abendhitze?«
    Die letzte Sonne warf ein
Streifenmuster durch die Jalousien, und der marternde Gesang der Glückskäfer
verebbte. Es gibt die Wahrheit, dachte Alakar, nur daß sie ein paar Seiten
zuviel hat. Weit mehr als Pilze, Brainonia, Gedichte und die Zeitansage.
Die letzte Waffel glitt auf den Teller, und Alakar setzte sich bedächtig im
Sofa zurecht. Als Verna ins Publikum blickte, sah er einen der Kameramänner in
Flammen stehen, angezündet von ihren lichterloh brennenden Augen. Die
aufdringlichen Burschen trugen verschossene Lederjacken und wirkten auch sonst
wie die Filmstars. Über Vernas Rücken floß langes Haar, sieben verschiedene
Weizentöne, einmal hatte er sich die Mühe gemacht, sie zu zählen.
    Die Hitze des ersten Bissens strömte
wie Magma durch seinen Körper, und Alakar öffnete seufzend seine Hose. Der Tag
war so schwül gewesen, daß die Steine vor dem Haus knackten und das Wasser beim
Besprenkeln des Weges zischend verdampfte, als sprächen die Kiesel mit
lispelnden Zungen zu ihm. Aus der Ferne roch es nach dem Meer. Marmornes Licht
ergoß sich über die Bucht, unheimlich und schön und feierlich. Das große
Gefühl, dachte er kauend, mein Concord-Gefühl. Die Zeit ist nur ein Fluß, in
dem ich fischen will. Bis auf den einen perfekten Satz hatte Thoreau ihm
nur Vermessenheit vorausgehabt, den Glauben, in der Abgeschiedenheit der
Waldenfarm die Buchstaben des Alphabets begraben und vergessen zu können. Wie
ein Akkordarbeiter hatte er geschuftet, um Unschuld aus den Feldern zu meißeln
oder Melasse Gesänge abzuringen — und was war das Ergebnis gewesen? Daß er
mitsamt seiner Zeit viel zu früh tot umgefallen war.
    »Da schau her, schon zehntausend Mark«,
sagte Verna und zog den Kandidaten hinter dem Ansagepult hervor, einen
dicklichen Fachmann für Knoten. Draußen sang die Heidelerche, Lullula arborea.
Nur ein paar Sekunden stand sie im Rüttelflug über den Eiben und fiel dann jäh
wie ein Kiesel zu Boden. Auf den Fenstern setzte sich Feuchtigkeit ab,
schimmernd wie die Farbe von Vernas Kleid. Aus einem Zeitschriftenberg angelte
Alakar sich das Heft, in dem er ihre Garderobe und die gelungenen Moderationen
notierte. Grasfarbene Flamme, schrieb er auf eine herausgerissene Seite,
quer über die Spalten mit Datum, Namen und Fachgebieten der Kandidaten. Es war
nicht wirklich so schräg, wie es klang, wenn man es nur köcheln und nachhallen
ließ. Seine Leser mußten sich daran gewöhnen, daß sich Eros vom Logos
unterschied. Welche Leser denn? fragte seine allgegenwärtige Mutter.
    Die sich nach meinem Tode darum reißen,
sagte Alakar. Für den Dichter sind Armut oder Tod doch stets die beste Reklame.
Grasfarbene
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