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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts
Autoren: Susanne Riedel
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Flamme, wiederholte sie verächtlich, die
Geschlechterrollenkonkurrenz steigt dir zu Kopfe, manchmal glaube ich, du bist
womöglich neidisch.
    Mit einem Finger strich Alakar über
seine Notiz. Ein ungewöhnlicher Anfang für ein Gedicht, aber auch nicht
abstoßender als das, was gewisse französische Dichter zuweilen verbrachen. Wie
leicht es sich dichtete, wenn man nach einem Streit mit seinen Kokotten in der
Rue Fanfarlo saß und auf seine Papiere weinte, in Gesellschaft grüner Getränke. In der Morgengrüne zum Beispiel, gewappnet mit glühender Geduld, man
mochte sich fragen, ob Rimbaud ein beduselter Esel gewesen war.
    »Knoten knüpfen, Knoten lösen«, sagte
Verna auf dem Bildschirm, ihr Mund war eine blasse Blume, die man essen konnte,
und Alakar beobachtete die Bewegungen ihrer Lippen. Wie würde sie ihn
ankündigen, wenn er neben ihr stünde? Alakar Macody, Dichter und Einsiedler?
Alakar Macody, ein unbekanntes Genie unserer Zeit? Draußen sprang einer der
großen Fische, die abends den Fluß hinunterzogen, und klatschte gegen den
Anlegesteg. Für die Nacht hatte der Wetterbericht ein Sturmtief vorhergesagt.
    »Chinesischer Glücksknopf«, sagte Verna
über den Knotenkandidaten hinweg, der vor Aufregung glänzte. Aber schließlich
knüpfte er doch einen Schnürsenkel aus Nylon um die Limonadendose. Verna
klatschte, und auch die Leute im Studio waren außer sich und stießen sich
gegenseitig an. Plötzlich sah Alakar Macody sich selbst, einen schlanken Mann,
der wie betäubt auf den Fernseher starrte, während die Proportionen des Raumes
sich beunruhigend verzerrten. Wie jedesmal, wenn er Verna lange genug
betrachtet hatte, breitete sich ein tröstlicher Nebel vom Bildschirm aus und
erweiterte sein Gesichtsfeld. Dann sah er sich und um sich den Raum und um den
Raum sein Haus, umgeben vom funkelnden, weißen Wasser in der Bucht. Das sah er
und den stumpfen Farbton über der Haut des Fisches, der auf der Mole gestrandet
war, und hinter der Mole die Straße, ein paar Autos, die sich mit
angeschalteten Scheinwerfern durch die Dämmerung bewegten, auf die Stadt zu,
über den Fluß, über die Brücke, über das Meer, und über dem Meer war nichts,
nur das Meeresleuchten, Millionen grünlicher Algen. Irgendwo in der Stadt, in
der klirrenden Helligkeit der Bürogebäude, lächelte Verna, durch die Straße mit
Alakar verbunden, und betrachtete die feuchten Fingerabdrücke auf der
Limonadendose.
    »Ist das nun«, sagte sie, während der
Kandidat unter seinem Bauch nach Gürtelschlaufen suchte, um die Daumen darin zu
verhaken, »ein einsträngiger oder ein mehrsträngiger Knoten?«
    »Mehrsträngig, wie man sieht!« sagte
Alakar. Die Glückskäfer hinter Verna klatschten ekstatisch. Wie eine Blase zog
sich das letzte Tageslicht um ihn zusammen, und die Reflexe auf Vernas Kleid
blendeten ihn. Im Silber der Scheinwerfer leuchtete sie auf, als der andere
Kandidat an ihrer Seite erschien. Über der Bucht ballten sich Wolken am Himmel.
Die Wellen am Anlegesteg flüsterten, drängend wie der Hexameter, der unter
Alakars Schädeldecke tickte.
    »Komm schon!« sagte er, als der vierte
Daktylus sich sperrte.
    Wie kurz, hatte T. S. Eliot gefragt, muß ein
Gedicht sein, um lyrisch genannt zu werden ?
    Brainonia war beinah zu Ende, es kam nur noch
das Telefonspiel. In einer Pfütze aus Licht zitterten Alakar Macodys Gedanken,
und er begann, über den nebelgrauen Trichterling nachzudenken, einen Pilz, der
als eßbar galt, aber nicht von jedem vertragen wurde.
    »Gott«, sagte er, während draußen ein
erster Schauer niederging und Verna auf dem Bildschirm sich anschickte zu
telefonieren, »was ist sie wunderschön!« Mit dem Daumen zog er eine Spur über
den Teller. Jenseits der Mole tauchten die großen Fische ins tiefere Wasser ab.
Der Regen machte seine einsamen, ploppenden Geräusche. Es wurde langsam dunkel,
die Lerchen schrien nun fast.
     
    Diesen Augenblick, dachte Verna
Albrecht, habe ich dem Haß gewidmet. Das Tastentelefon war klebrig, klebrig und
lebendig wie der Dicke, der ihr mit seinem Knie inständig gegen die Wade
schlug, als würde er um Einlaß bitten. Er wußte eine Menge über Knoten, er
schwamm auf den Knoten, ein trübes Fettauge, das noch im Traum Schnüre um
Saftflaschen wand. Haß, dachte Verna und strahlte auch den anderen Kandidaten
unverbindlich an. Als ihr ein fader Atem gegen die Schulter stieß, flatterten
ihre Hände so, daß sie die Tasten verfehlte. Die elend lange Nummer des
Pilzexperten mit dem
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