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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts
Autoren: Susanne Riedel
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so«, sagte Verna, »ich will Sie
morgen live in der Show! Die Leute rufen wie verrückt an.«
    »Sie lügen !« sagte er.
    »Tu ich nicht. Hören Sie, Alakar,
lassen Sie mich erst gar nicht von Geld anfangen. Sagen wir einfach, es geht um
die Pilze. Die müßten Ihnen doch soviel wert sein und, Alakar, die Leute lieben
Sie!«
    »Die Leute kennen mich doch gar nicht.«
    Mit tieferer Stimme sagte Verna: »So
funktioniert jedenfalls Fernsehen, das müßten Sie doch wissen.« Bei ihr zu
Hause war Fernsehen verboten gewesen, ihre Mutter hatte statt dessen ständig
Kastanienmännchen und schicke kleine Puppenwagen aus Klorollen mit ihr basteln
wollen.
    »Ich bin in einen Waldorf-Kindergarten
gegangen«, sagte sie übergangslos.
    »Ach du Schreck«, sagte Alakar.
    »Aber ich bin durchaus in der Lage,
Notwendigkeit von Notwendigkeit zu unterscheiden. Die Welt braucht das alles:
Massenmedien und Natur. Und beides hat am Ende seinen Sinn, oder?«
    Schweigen.
    »Ja«, sagte sie heftig, »es erscheint
mir in diesem Fall sogar möglich, die beiden Enden der Welt miteinander zu
verknoten!«
    »Was reden Sie da eigentlich, Verna«,
sagte er, »halten Sie mich für schwachsinnig?«
    Gut, dachte sie, ich bin also
verzweifelt. Was aber keineswegs ein Makel ist. In der Bar des
Ritz-Carlton-Hotels hatten Sexton und Plath ungehemmt über ihre
Selbstmordversuche geplaudert. Wie hatten sie das gemacht? So wie sie mit
Alakar Macody über Pilze redete?
    »Na schön«, sagte sie, »ich habe keine
Ahnung, ob Ihnen die Namen Lowell, Sexton, Berryman, Snodgrass und Plath etwas
sagen.« Wie unter Zwang begann sie, Flecken von einem Fax zu reiben, und ihr
Daumen machte bellende Geräusche. Wo waren eigentlich Izzys Hunde geblieben?
    »Bekenntnislyrik!« sagte Alakar, und
Verna spürte eine Verdickung an der Unterlippe, wo sie sich während der Sendung
immer biß.
    »Wie bitte?« fragte sie tonlos.
    »Bekenntnislyrik!« wiederholte er, »die
alle, Berryman, Sexton und so weiter...«
    »Bekenntnislyrik, genau«, sagte sie,
»nun, ich habe Ihnen als private Verna gesagt: Das mit der Pilzdichtung tut mir
leid. Es fiel mir schwer. Aber ich habe es getan, weil das Private nicht privat
ist. Das haben die Bekenntnislyriker betont. Das Private ist öffentlich.
Deshalb sollten Sie auch aus Ihren Pilzen kein...«
    Gib mir Kraft, dachte sie, ich kann
mein Gefasel nicht mehr ertragen.
    »Okay«, fiel ihr Alakar Macody ins
Wort, »ist ja gut. Schon überredet, doch, ich komme.«
    Als Manasse den Kopf zur Garderobentür
hineinsteckte, seinen bläulichweißen großen Kopf, fiel ihr der Rittersporn ein,
den sie Izzy aufs Grab gesetzt hatte. Sie erinnerte sich, wie ihre Hände
aussahen. Finger wie Wurzeln in die Erde geflochten.
    »Wir haben Sekt«, sagte Manasse,
»Champagner, Dröhnung!«
    Rittersporn war ein häufiges
Ackerunkraut, darum hatte sie ihn ausgesucht. Hinter dem Grab, hinter dem
Rittersporn, stand demonstrativ eine Zypresse.
    »Was sagt dir der Name Rittersporn?«
fragte sie Manasse.
    Er zwinkerte ihr zu: »Du und deine
versauten Witze!«
    »Rittersporn«, sagte sie verträumt,
»enthält ein Alkaloid, das man früher zum Heilen von Wunden verwendet hat.«
    »Ah ja«, sagte Manasse und schloß die
Tür.
    Rittersporn, Consolida regalis, wird
von Hummeln und Tagfaltern bestäubt. Izzy Stern wird von Hummeln und Tagfaltern
bestäubt. Seine Knochen, ein schwach leuchtender Himmel, der Rittersporn, die
Zypresse. Farben wie Taubenfedern. Und darüber und darunter tausend Tagfalter.
    »Das ist die Liebe«, rezitierte sie
laut, »und was davon geblieben ist. Dieses langsame, gedämpfte Saxophon aus
einem Fenster im Winter.« Es war ein verdammtes Scheißgedicht. Kein Wunder, es
war von ihr. Du bist eine feste Freundin des Schmerzes, Verna, sagte Izzy mit
seiner toten Stimme. Ja, das bist du, Schätzchen, tatsächlich!
     
    Am Morgen nach Brainonia zuckte
Erma Zoffi vor Alakar Macodys Tür mit den Füßen. In den Sandalen sahen sie wie
Torteletts aus, die jemand mit knallroten Beeren bekränzt hatte. Der Nagellack
erinnerte Alakar an seine Mutter. Immer noch trug sie knieumspielte Röcke und
erwarb von Zeit zu Zeit sogar eine Schachtel Tampons, die sie mitten auf dem
Küchentisch plazierte, damit jeder sie sehen konnte. Mit einem dünnen
Briefbündel rückte Erma Zoffi ihm näher und näher, obwohl sie seine Post sonst
immer in den Kasten warf, das einzige amerikanische Modell in der Gegend.
Ziegelrot und rebellisch, deshalb hatte er ihn gekauft. Seine
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