Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts
Autoren: Susanne Riedel
Vom Netzwerk:
Vater. Wenn Sie es schon sonst nicht ausdrücken
können.«
    »Wenn alle es hören, ist es nicht so
schlimm«, sagte er, »schlimmer ist, wenn es nur einer hört. Lassen Sie uns eins
zusammen machen. Ich fange auch an.«
    »Nein«, sagte sie, »auf gar keinen
Fall. Ich hab's getan, jetzt tun Sie es auch.«
    »Als Kind stand ich immer...«
    »Ist das das Gedicht? Dem fehlt ja
schon am Anfang der Rhythmus. Als Kind stand ich immer — was soll da noch
kommen? Vor einem Spiegel, in meinem Zimmer, und war ein Igel. Bitte
nicht. Ich will das Ganze, nicht das Halbe. Nun fangen Sie schon an!«
    »Es sollte nur ein Vorwort sein. Wenn
ich weinen mußte, stand ich als Kind vor dem Spiegel und habe nachgesehen, wie
traurig genau ich aussah. Davon wurde es schlimmer. Es war ergreifend und
schön.«
    »Hören Sie mir auf«, sagte sie, »das
ist eine PR-Geschichte für Spiegel-Produzenten, kein Gedicht. Kommen Sie mal
rüber. Ich rutsche ein Stück, und dann lege ich Ihnen die Hand aufs Knie. Wenn
es anders nicht geht, stehen wir das zusammen durch.«
    »Seien Sie nicht albern«, sagte Alakar,
aber er stand auf und setzte sich neben sie. Ihre Hand flog durch die Luft,
eine Lerche, Lullula arborea, die auf seinem Knie ankam.
    »Es ist das richtige Knie«, sagte er.
    »Dann ist es ja gut«, sagte Verna. Es
war wieder zwanzig vor, denn sie schwiegen.
    »Jetzt«, sagte sie und drückte sein
Knie mit einer warmen Hand.
    »Gut, dann eben jetzt!« sagte er. Sie
wollte Reime.
    Eine Stimme, die nicht seine war, sagte
Reime.
    »Dich will ich über meine dünnen
Knochen ziehen, ein schmales Boot in meiner unbehauenen Nacht. Dir hab ich heute
meine Angst verliehen, und deine Angst hab ich zu meiner Nacht gemacht.«
    Worte. Die kleine Ordnung. Dinge.
    »Machen Sie weiter«, sagte Verna.
    »Auch wenn es schlimmer wird?«
    »Dann gerade«, sagte sie.
    »Mit dir will ich mein schwarzes Blut
beseelen. Ein schwacher, neuer Ton, zerbrechlich, rar. Mir wollte ich
verzeih’n, daß alle Worte fehlen, für einen Gott, der nie der meine war. All
diese Bilder, die aus meinen Rippen ragen, sehr blau, sehr schläfrig,
eigentlich zu klein. Nicht anders als dein Blick in diesen Tagen. Im Spiegel
meiner Hände, deinem Schrein. Du spiegelst Nägel, Zangen. Ruhelose Pferde. So
jenseits, tödlich wie dies Glas voll Wein. Du spiegelst mich. So sanft und
kühn, ich werde...«
    Er zögerte.
    »...der Tod in deinen müden, schönen
Augen sein...«, sagte Verna, setzte sich auf und strahlte.
    »Woher wissen Sie das?« fragte er.
    »Ich wußte es nicht«, sagte sie. »Nur
ein einfacher Rückschluß. Reductio ad absurdum.«
     
    Würden es Ihnen etwas ausmachen, mich
zu küssen, sagte sie, wahrscheinlich ist es ganz leicht, Sie haben es ja schon
in Ihrem Gedicht angemerkt. Draußen rief eins seiner sonderbaren Tiere, ein
anderes Rufen, warum rufen sie immer und man kann nicht antworten. Wenn man
ihre Sprache verstünde, wäre man im Vorteil, soviel nur zum Japanischen, es
erleichtert einem das Leben auch nicht sehr. Würden Sie mich bitte küssen, und
wenn Sie es tun, dann tun Sie es jetzt, bevor ich etwas Besseres zu tun habe.
Sie müssen wissen, ich bin in Eile.
    Sein Mund schmeckte nach Pfefferminz
und Eisen, glattem Pyrit, den man auf Elba fand, in Spanien oder Peru. Die
Griechen haben ihn Feuerstein genannt, es tut mir leid, ich kann daran nichts
ändern. Das wußtest du nicht? Doch, auch die Alchimisten... Sie haben gewußt,
daß im Pyrit Gold steckt, sie wissen alles, und alles vermehrt sich und frißt
Menschen. Menschen wie Alkibiades, er war der schönste Mann auf der ganzen
Welt. Nicht, daß ich schöne Männer liebe, ich liebe Anne Sexton, die gesagt hat und heute nacht werden unsere Häute, unsere Knochen, die unsere Väter überlebt
haben, sich begegnen. Hörst du mich, hörst du mir zu? Er nickte, seine Hand
in ihrer Hand. Schund, sagte sie, ein Verbrechen gegen das Wort, das gesagt
wird, um zu ändern, was viel zu lange still war. Ich gehe, sagte er, ich gehe,
außer du sagst endlich, was du tust, wenn du es tust. Meine Mutter, sagte sie,
war Cellistin, aber ich habe ihr nie zugehört. Alles ist gut, sagte er, es ist
doch alles gut, und jederlei Ding wird gut sein. Hör mit Eliot auf, sagte sie,
dann tu ich es, ich sage, was du hören willst. Du faßt mich an. Ich fasse dich
an, sagte er. Ich fasse dich hier an und da, sag mir, was soll ich tun? Im
Teich knistert das Watt, sagte Verna, sind das die kleinen Fische, ich mache
Musik dazu, sagte er, bis an
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher