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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts
Autoren: Susanne Riedel
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die Grenze und weit darüber hinaus. Ich denke an
Vera, weil sie an mich denkt, ich bin nicht besser als ein Krimineller, ein
Kleinkrimineller, sagte sie, was soll ich tun?
    Weiter und weiter, bis hinter Granada
und Capri.
    All die schönen Namen, man kann mit
Gedichten nicht aufhören, sagte er, das ist das schlimmste, sie später
wegzusprechen ist nicht schwierig, nur der Schluß ist das Problem. Würdest du
mich noch mal küssen und mich dabei ansehen? Hör, was du hörst, hörst du
dasselbe wie ich, etwas tanzt, etwas knistert, sind es wirklich nur die kleinen
Fische? Ich fasse dich an, sagte er, deine Brust. Meine Brust, sagte sie, einst
lebte ein Mann, der verkaufte den Menschen Träume. Das ist schlimmer als
verschränkte Hände, Finger, wie Wurzeln in die Erde geflochten. Kommt drauf an,
sagte Alakar, wie es gemeint ist. Merkst du dasselbe, was ich merke, spürst du,
wie wir schlingern? Wir sind in einem Schiff, und wir schlingern schon. Keine
Ahnung, sagte sie, aber ich glaube fast — warte, bitte. Noch einen Augenblick,
nur einen Moment.
    Bleib hier, sagte er. Mach nicht die
Augen zu. Was ich dir noch sagen wollte...
    Nein, sagte sie, sag was anderes, sag
das nicht.
    Wir spielen ein Spiel, sagte er, es
heißt reductio ad absurdum, Wort mit vier Buchstaben. Ach, sagte Verna,
ist es groß? Sehr groß, sagte er, aber ich werde es nicht sagen, auch wenn du
darauf kommst. Nein, sagte sie, darauf komm ich nicht. Paß auf, was ich tu,
weiter, noch weiter, stell dir vor, ich bin ein Fluß, über die Brücke, über das
Meer, und über dem Meer ist nichts, nur das Meeresleuchten, Millionen
grünlicher Algen. Er nickte, und in dem Nicken war ein Schritt, und in dem
Schritt war ein Glänzen, und er ging durch das Glänzen, behutsam, wie man auf
Glasscherben geht. Du riechst nach Moosen, sagte sie, und nach deinem
ehrenhaften Wald voller ehrenhafter Bäume. Was tust du, sagte er, du solltest
sagen, was du tust. Ich sage es nicht, sagte sie, aber ich halte die Augen
dabei auf, ich halte die Zeit mit meinen Augen auf. Nichts ändert sich, nur das
Licht, auch wenn es still ist, ganz still hier drinnen. Hör, flüsterte er,
hörst du das? Dies ist mein Kuß. Sag, was ich tue, sagte er. Mein Haar auf dem
Kissen, sagte sie, du bettest meinen Kopf auf deinen Kissen. Ich fasse dich an,
sagte er, hier fasse ich dich an. Lieg jetzt ganz still, beweg dich nicht. Lieg
still.
    Dies ist mein Kuß.
    Weiter, sagte er, weiter, noch stiller,
vorsichtig, beweg dich jetzt nicht. Beweg dich bitte nicht.
    Weiter. Noch weiter.
    Weiter kann man nicht kommen, sagte
Verna, weiter nicht.
    Ich erzähle dir eine Geschichte. Sie
fängt mit dir an, mit dir, weil du gerade da bist.
    Sie hielt sein Gesicht und seinen Mund
in ihrer Hand.
     
    Ich erzähle dir eine Geschichte.
    Alakar Macody hatte ein Haus, das wie
eine glitzernde grüne Weintraube in der Biegung des Flusses lag. Im Wohnzimmer
lief Tag für Tag der Fernseher, und manchmal hörten einsame Spaziergänger sein
großes weißes Rauschen noch um Mitternacht. Es drang aus der verschlossenen Tür
und dem kalten Schornstein, hing für einen schwebenden Moment vor den Fenstern
oder auf dem Dach und breitete sich in der Dunkelheit aus, wo es in Wellen
durch die Luft über dem Wasser tanzte.
    Schreibst du das auf, sagte Alakar,
wirst du es aufschreiben?
    Nein, sagte sie, nein, bestimmt nicht.
    Es war ein summendes Haus, ein
brausendes Haus, ein Haus aus Tönen, wie ein unmäßig tosendes Wort, dessen
Nachbild auf dem Fluß zitterte und am Himmel zerstob. Ein seltsames Wort, sagte
Verna. Das noch niemand für eine Geschichte erfunden hatte.
    Ein einziges Wort.
    Für das ganze, splitternde Leben.
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