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Auf doppelter Spur

Auf doppelter Spur

Titel: Auf doppelter Spur
Autoren: Agatha Christie
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    D er Nachmittag des 9. September war ein Nachmittag wie jeder andere. Keiner, der von den Ereignissen des Tages betroffen werden sollte, konnte behaupten, unheilschwangere Vorahnungen gehabt zu haben.
    Für Miss K. Martindale, Vorsteherin des Cavendish-Sekretariats- und Schreibbüros, war der 9. September ein langweiliger Tag gewesen, nichts als Routine – bis 14.35 Uhr. Um 14.35 Uhr ertönte Miss Martindales Gegensprechanlage, und Edna Brent im Vorzimmer antwortete mit ihrer kurzatmigen und leicht nasalen Stimme, während sie mit der Zunge ein Bonbon zwischen den Kiefer und die rechte Backe schob.
    »Ja, Miss Martindale?«
    »Aber, Edna – so sollen Sie sich doch nicht melden. Sprechen Sie deutlich, und halten Sie den Atem z u rück!«
    »Entschuldigung, Miss Martindale.«
    »So ist es schon besser. Schicken Sie Sheila Webb zu mir.«
    »Sie ist noch nicht vom Essen zurück, Miss Martindale.«
    »Ah.« Miss Martindales Augen befragten die Uhr auf dem Schreibtisch. Genau sechs Minuten zu spät. Sheila Webb war in letzter Zeit nachlässig geworden. »Schicken Sie sie, wenn sie kommt.«
    »Ja, Miss Martindale.«
    Edna beförderte den Bonbon wieder auf die Mitte der Zunge, lutschte vergnügt weiter und fuhr fort, Liebe ohne Schleier von Arnold Levin abzuschreiben.
    Die Tür öffnete sich, und Sheila Webb kam herein.
    »Die Wüstenkatze hat nach dir gefragt«, informierte Edna sie. Sheila Webb schnitt ein Gesicht, ordnete ihr Haar, griff nach Block und Bleistift und klopfte an die Tür der Chefin.
    Miss Martindale sah auf. Sie war etwas über Vierzig und barst vor Tüchtigkeit. Ihre Ponyfrisur, das matt rötliche Haar und ihr Vorname Katherine hatten ihr zu dem Spitznamen Wüstenkatze verholfen.
    »Sie kommen zu spät, Miss Webb.«
    »Entschuldigen Sie bitte, Miss Martindale. Es war ein schrecklicher Verkehr.«
    »Das ist um diese Zeit immer so. Sie sollten das vorher bedenken.« Sie sah auf ihren Block. »Eine Miss Pebmarsh hat angerufen. Sie möchte um drei Uhr eine Stenotypistin haben. Sie verlangte ausdrücklich nach Ihnen. Haben Sie früher schon mal für sie gearbeitet?«
    »Nicht, dass ich wüsste, Miss Martindale. Jedenfalls nicht in letzter Zeit.«
    »Die Adresse ist Wilbraham Crescent Nr. 19…«
    Sie hielt fragend inne, aber Sheila Webb schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht erinnern, jemals dort gewesen zu sein.«
    Miss Martindale sah auf die Uhr.
    »Um drei. Beeilen Sie sich, Miss Webb. Haben Sie heute Nachmittag noch einen anderen Termin? Ach ja – Professor Purdy im Curlew Hotel. Fünf Uhr. Sie müssten eigentlich vorher zurück sein. Wenn nicht, kann ich Janet hinschicken.«
    Mit einem Nicken entließ sie Sheila, die ins Vorzimmer zurückging.
    »Was Interessantes, Sheila?«
    »Nein – nur langweiliges Zeug wie immer. Irgendeine alte Jungfer in Wilbraham Crescent. Und um fünf Uhr Professor Purdy – all die schrecklichen archäologischen Ausdrücke! Wenn doch nur einmal etwas Aufregendes passieren würde!«
    Miss Martindales Tür öffnete sich.
    »Noch etwas, Sheila. Falls Miss Pebmarsh noch nicht zurück ist, wenn Sie kommen, sollen Sie ins Haus gehen – die Tür wird nicht verschlossen sein – und in dem Zimmer rechts von der Diele auf sie warten.«
    Miss Martindale ging in ihr Heiligtum zurück. Sheila nahm ihre Handtasche und verließ das Büro.
    Wilbraham Crescent war die zu Stein gewordene Fantasie eines viktorianischen Architekten aus den achtziger Jahren. Es war eine halbmondförmige Siedlung aus Doppelhäusern, bei denen nicht die Seiten-, sondern die Rückwände aneinanderstießen. Dadurch ergaben sich beachtliche Schwierigkeiten für alle, die die Gegend nicht kannten. Jene, die am äußeren Bogen ankamen, konnten die niedrigen Hausnummern nicht finden; und die, die zuerst auf den inneren Halbkreis stiegen, fragten sich, wo die höheren Hausnummern geblieben sind. Es waren ordentliche, mit Balkons versehene und ausnehmend ehrbare Häuser. Jedes besaß natürlich seinen eigenen Garten.
    Nr. 19 hatte nichts Besonderes an sich. Die Vorhänge waren sauber, der Messinggriff am Eingang blankgeputzt. Zu beiden Seiten des Weges, der zur Haustür führte, standen die üblichen Rosensträucher.
    Sheila Webb öffnete die Gartenpforte, ging zur Tür und klingelte. Es rührte sich nichts, und nachdem sie ein oder zwei Minuten gewartet hatte, tat sie, wie ihr geheißen, und trat ein. Die Tür rechts von der kleinen Diele war angelehnt. Sie klopfte, wartete und ging dann hinein. Es war ein
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