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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts
Autoren: Susanne Riedel
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Stinkmorchel. Ein riesiges,
schlagendes Herz, entstellt von der Wahrnehmung eines Psychotikers. Verna
hüstelte, weil ihre Kehle trocken wurde.
    »Pilze...«, sagte Alakar Macody, »nicht
Gedichte...?«
    Auf seiner Stimme trieb eine
gummiartige Schicht, Verletzung. Hingerissen lächelte Manasse in die Luft, und
Verna lächelte zurück, ein Lächeln, das in ihr eingerastet war, versteinert vor
Izzys Zeit.
    »Pilze«, bestätigte sie, »nicht
Gedichte. Soweit ich weiß, haben Sie sich doch für Pilze beworben.«
    Trauer war schwarz, und Scham war rot.
    Mühsam bewegte sich Alakar durch den
schäumenden Dunst von Farben.
    »Speisetäubling«, sagte er,
»Schopftintling, Farb- und Konsistenzveränderung, gestreckt-eiförmig,
artenreiche Gattung!«
    Etwas quoll aus ihm heraus und
verflüchtigte sich, grammatikalisch einwandfreie Sätze, wie Pilzsporen mit der
Luft Verblasen. Verna Albrecht hielt ihn in ihrer eisernen, wortreichen
Umarmung. Ich hätte T. S. Eliot erwähnt, das hätte ich, aber sie hat mich nicht
gelassen. Immer noch sah sie unberührbar aus. Anima, ein schönes Wort,
wie Liebesperlen.
    Als der Dunst aufbrach, lag in einer
Schneise die Küche, die schwarzweißen Fliesen feucht, als hätte die Scham dort
Spuren hinterlassen. Um Vernas Kopf hing wie ein Heiligenschein die Zahl, eine
Eins, sechs Nullen. Alle Fragen gestellt, dachte Alakar, fertig, das bedeutet
es wohl. Dabei war er so sicher gewesen, daß er sich zum Thema Dichtung
beworben hatte. Natürlich hatte er die Pilze auch erwähnt. Wieder sah er
seinen vergessenen Brief, von dem nichts geblieben war als eine Zahl im
Fernseher, die goldene Blüte, die Million. Der Knotenkandidat warf dem anderen
die Arme um den Hals, dann schüttete er Sekt über Vernas Schulter.
    »Alakar! « sagte jemand auf
dem Bildschirm. »Hören Sie mich?«
    »Ja«, murmelte er, »natürlich, ja!«
    »Sie Glückspilz! « sagte
Verna.
    »Ach, halten Sie doch den Mund!« sagte
er.
     
    In der Garderobe fand Verna einen
Zettel von Manasse: Danke, Süße! Izzy Stern hatte dieselbe Macke gehabt,
tausend Zettel, und am Ende aller Zettel der letzte, auf dem Hallo Verna stand.
Für den Laien, hörte sie den Pilzsammler noch einmal sagen, ist es vielleicht
verwunderlich, daß ein Pilz sich auflösen und in eine tintenartige Flüssigkeit
verwandeln kann. Dabei verbreitet er so nur seine Sporen. Einen Augenblick lang
war Verwirrung über sie hereingebrochen und sie zweifelte an ihrem Verstand.
Ein gutes Zeichen, pflegte Izzy zu sagen, wenn über dem Verstand das Verstehen
des Verstandes kommt, übergeordnete Intelligenz, kollektives Unbewußtes, Gott.
    Draußen lärmte Manasse mit den
Kandidaten. Verna wählte noch einmal Alakar Macodys Nummer und blickte sich im
Spiegel in die Augen. Ich möchte mein Gesicht abziehen und hinter dem Gesicht
das Gesicht sehen, das hinter den Gesichtern liegt. Hallo Verna. Jener letzte
Zettel, nicht Liebe Verna, nicht Mein Liebling. Hallo Verna. Nicht mal ein
Ausrufezeichen. Ein Punkt. Hallo Izzy, hallo Hunde, hallo Alakar. Wenn er
abhob, würde er wieder mit Izzys Stimme sprechen, eine Einladung, ein Phantom.
Izzy-Alakar, Alakar-Izzy, seine schnurgeraden Sätze ohne einen Funken Gefühl.
Izzy-Eisblock, der sich sogar von ihr schlagen ließ. Allerdings erst nachdem er
sie bereits verlassen hatte. Nach dem Zettel. Nach Hallo Verna, Punkt.
    Als Alakar Macody sich meldete, sagte
sie eilig: »Das mit der Pilzdichtung tut mir leid!«
    »Was genau?« fragte er.
    »Sie sagten vorhin, Sie hätten gedacht,
hier ginge es um Dichtung. Da sagte ich: höchstens um Pilzdichtung. Das tut mir
wirklich leid. Ich hätte mich nicht über die Pilze lustig machen dürfen!«
    Eine Pause, üppig und unerfreulich, bis
er sagte: »Oh, im Grunde gibt es ja nichts Passenderes als Pilze, um sich
darüber zu amüsieren. Nehmen Sie den netzstieligen Hexenröhrling. Wenn man das
Fleisch anschneidet, ist es erst gelblich, wird dann aber ganz schnell blau. Komisch,
was?«
    »Erst gelblich, dann blau?
Tatsächlich?« sagte Verna verlogen.
    »Ja«, sagte er und schwieg wieder.
    »Weshalb ich es anspreche...«, sagte
sie. Keine Ahnung, nur so ein Gefühl. Schalte das Licht aus, rief Anne
Sexton, und dann sind wir überall schwarzes Papier ! Sie hatte wenigstens
Gründe gehabt, unglücklich zu sein, häßliche Gründe, aber aus der Häßlichkeit
war Schönheit entstanden.
    »Weshalb also?« fragte Alakar.
    »Weshalb was?«
    »Sie sagten: Weshalb ich es
anspreche...« Er klang ungeduldig.
    »Ach
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