Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts
Autoren: Susanne Riedel
Vom Netzwerk:
gräßlichen, pilzigen Namen. Kamerawechsel, und die Glückskäfer
wurden unruhig, aber Verna winkte fröhlich ins Publikum. Haß, Haß, wie ich Brainonia hasse, und Pilze hasse ich auch. Der letzte Telefonkandidat war ein
wahnsinniger Seekadett gewesen, der zum Thema Rechenmaschinen befragt werden
wollte und am Ende nur über sein Diamantschwert und ihre Liebesgrotte faselte.
Als er in die Schlußmusik hineinkreischte, er würde sie umbringen, aber pronto,
hatte sie gelächelt.
    Für das Publikum hielt sie den Daumen
hoch, während das Freizeichen ertönte, und wackelte mit dem Daumen, diesem
Daumen, der aussah wie eine fette, schweinchenfarbene Nudel. Zwischen ihren
Rippen kreischte die gefährliche Irre, die ihr irgendwann die Show vermasseln
würde. Kieferknochen knackten, Zähne bekämpften sich. Es ist nichts, beruhigte sie
sich, es kommt nur von diesem ewigen Grinsen.
    Der Produktionsleiter wedelte mit den
Händen und fuhr die Reklame ab, komm schon, dachte sie, aber der Pilzsammler
ließ sich hinter seinen Bergen Zeit. Sie machte noch einen Witz, die Leute
grölten, und Verna erinnerte sich, daß sie die Welt waren; die Welt und Gott,
der Verna Albrecht und ihren kleinen, leichten Atem betrachtete, ihr
Gelegenheit gab, zu schimmern und zu rasen in seinem Licht, das durch die
Kameraspots auf sie herunterstrahlte. Fernsehen, dachte sie, dein Auftrag, mein
Lieber, warum nicht einfach heiligen, was ist?
    Mit einem Kreischen starb die Reklame,
das Publikum waberte, ein teigiges Tier. All die Fische in uns waren für
einen Augenblick geflohen, sagte Anne Sexton, ihr Gesicht glühend und traurig, den wirklichen Fischen, antwortete Verna, war das egal.
    Izzy Stern hatte sich damals Anne
Sextons Augen bemächtigt, nicht der Farbe, nur des Blicks, auf den sie prompt
hereinfiel. Der wunderhübsche Izzy, immer noch hübsch, selbst im Sarg, ein wunderhübsches,
totes Arschloch. Sie warf einen Blick auf den Studiomonitor, da stand sie,
ordentlich proportioniert und organisiert, jede Pore an der richtigen Stelle,
Verna Albrecht, wie sie ein Leben lang eine endlose, provinzielle Telefonnummer
wählte. Dann klickte es in der Leitung.
    »Alakar Macody, guten Tag«, sagte der
Anrufbeantworter mit einer Stimme, die in jeder Nuance Izzy Sterns Stimme war,
»lassen Sie uns über die Dummheit der Menschen reden.«
     
    Alakar hörte sich auf dem
Anrufbeantworter etwas sagen, was er vor Monaten noch als außergewöhnlich und
passend empfunden hatte. Wieder kribbelte sein Beinstumpf, und er preßte die
Handflächen gegen die Ohren, taub für den verwirrten Pilzsucher am anderen
Ende. Er würde ihm nur den Rest der Show vermasseln, weil er das Servicetelefon
für ein Auskunftsbüro hielt oder für die Kirche: Tag und Nacht geöffnet. Seit
Juli krochen Touristen mit Flechtkörbchen und Plastiktüten wie die Wahnsinnigen
durch die Bucht. Zu dumm, Amanita pantherina von Amanita rubescens zu unterscheiden,
aber schlau genug, ihn mit hysterischen Stimmen anzurufen und ihn vom Fernsehen
abzuhalten oder vom Dichten.
    Seit er das Pilztelefon eingerichtet
hatte, wurden die Worte zu einem zähen Hefeteig, der irgendwann seinen Schädel
sprengen würde. Verna auf dem Bildschirm kam ihm schon ganz fremd vor, ihr
leerer Blick, als ob sie auf etwas wartete. Durch die Hände auf seinen Ohren
hörte er eine dumpfe Frauenstimme das Band besprechen. Wer immer seine Hilfe
brauchte, er sollte zur Hölle gehen. Auch Verna hatte zu reden begonnen, und er
starrte hin, bis sie sich plötzlich in ein fünfzehnjähriges Mädchen
verwandelte. In jenes Kind, das irgendwo enttäuscht den Telefonhörer auf die
Gabel legen, eine Handvoll Amanita pantherina aus dem Bastkörbchen nehmen und
sich die rohen Pilze in den Mund stopfen würde. Beflockte Hüte mit weißen
Lamellen, ein unschuldiger, stumpfer Geschmack nach Motten.
    Die Zeit rutschte aus ihrer Verankerung
und rastete in der Schwärze ein, wo Alakar noch einmal der zornige Fünfjährige
war. Batman, von Gott erschaffen, um die Fehler der Schöpfung auszumerzen. Er
roch das schwache rettichartige Aroma des schokoladenbraunen Pantherpilzes,
eine mächtige, giftige Anklage. Im schlimmsten Fall würde das kleine Mädchen
sterben, das versuchte ihn zu erreichen. Weil es den Perlpilz mit dem
Pantherpilz verwechselte oder weil Alakar Macody Brainonia wichtiger
nahm als das Leben, als den Tod. Nerven würden sich krümmen wie verschmorende
Elektroleitungen, das Blut würde träge werden, übersättigt vom
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher