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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel
Autoren: Anna Stothard
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nicht direkt meine Schuld, aber vielleicht hätte ich wissen müssen, dass
sie rasen würde, wenn ich sie gehen ließ. Vielleicht habe ich es auch gewusst.«
Er zündete sich eine Zigarette an. »Der Typ rief noch einen Krankenwagen für
sie, dann fuhr er weg. Sie konnten seine Nummer nicht zurückverfolgen. Der
Schlitten fuhr sogar direkt hier am Bungalow vorbei, doch ich bekam erst mit,
was passiert war, als der Krankenwagen auftauchte.«
    »Was war das für ein Auto?«
    »Ein Buick, glaube ich«, sagte er. »Ein dicker goldener Buick.«
    Ich hörte auf, an meiner Zigarette zu ziehen, und zwang mich, ruhig
zu atmen. Mittlerweile war es in Richards Innenhof recht dunkel geworden, und
die Glut beleuchtete unsere Gesichter. Man konnte nicht mehr in die Ferne
sehen. Da waren zwar Sterne, doch Sterne haben mich nie interessiert; mir ist
egal, ob sie ein Stück Zukunft oder Vergangenheit oder sonst was sind, mir ist
egal, ob sie sterben. Es sind nur Stecknadelköpfe, die [342]  Muster ergeben, wenn
man lange genug hinguckt. »Sie erinnern mich an Schulausflüge in die
Sternwarte«, hatte ich einmal zu David gesagt, als er irgendwas Romantisches
über den Himmel nuscheln wollte, und er hatte sich vor Lachen beinahe
ausgeschüttet. »Stadtpflanze«, hatte er gesagt und weitergelacht.
    Schließlich saßen Richard und ich fast die ganze Nacht wach,
rauchten betreten Kette und tranken seinen Whiskey. Ich kramte in Lilys Koffer,
doch er hatte seinen Zauber verloren. Ich ließ die beruhigende Seide des
purpurroten Kleides durch meine Finger gleiten, doch das fühlte sich nicht mehr
so verlockend an wie in Venice Beach nach der Totenwache, sondern irgendwie
dünn und trocken, so wie meine Haut, wenn David die ganze Nacht die Klimaanlage
angelassen hatte. Er fehlte mir. Nichts duftete mehr nach Lily. Ihr Parfüm, was
auch immer es gewesen sein mochte, hatte sich verflüchtigt. Ich betrachtete die
mit »Teddy« unterschriebenen Glückwunschkarten und das Foto von Lily, auf dem
sie in rosa Pflegerinnentracht neben dem eleganten alten Herrn stand. Ich sah
mir auch die juristischen Unterlagen an, und Richard erklärte mir, was sie
bedeuteten, doch ich hätte unmöglich wissen können, dass Lilys Name auf den
Verträgen hieß, ich würde das Hotel erben. Jorge kam raus und setzte sich eine
Weile zu uns, ging aber früh ins Bett. Er sagte, sein Wagen stünde ein Stück
die Straße rauf, und er würde mich am nächsten Morgen nach Hause fahren, wenn
ich wollte, doch ich sah ihn nur finster an und sagte, ich nähme den Bus.
    [343]  Auf dem Couchtisch lag ein angebissenes Sandwich, in der Spüle
stapelten sich verdreckte Kochtöpfe, überall auf den Tischen standen Flaschen
mit schalen Bierresten herum, in denen Zigarettenkippen schwammen. Richard und
ich saßen an entgegengesetzten Enden des Wohnzimmers und führten hölzerne
Gespräche über Lily. Wir tranken beide zu viel.
    »Hast du darauf die Briefe verfasst?«, fragte ich und zeigte auf
eine uralte Schreibmaschine in der Ecke.
    »Genau.«
    Ich weiß wirklich nicht, ob ich in dieser Nacht in meiner
Ratlosigkeit und mit meinem überlasteten Hirn an Davids großes goldenes Auto
von den Fotos in seiner Unterwäscheschublade dachte. Eines ist sicher:
Erinnerungen sind nicht fein säuberlich aneinandergereiht wie Andenken auf
einem Kaminsims oder Wörter auf einer Buchseite. Ich weiß genau, dass ich an
dem ersten Abend, als wir uns liebten, einen Handstand für David machte und
mich unendlich glücklich fühlte. Ich kann mich aber nur schwer daran erinnern,
wie wir uns im Regen stritten und uns küssten, um uns wieder zu vertragen, als
ich mit Seifenschaum an der Nase aus der Badewanne stieg, oder wie ich mich
fühlte, als wir unter der Straßenlaterne einen Kojoten gähnen sahen. Diese
Erinnerungen sind beeinträchtigt durch die Einzelheiten, die ich über Lilys
Unfall erfahren habe. Man sollte meinen, wenigstens die Vergangenheit wäre
stabil, wenn schon Zukunft und Gegenwart unvorhersehbar sind. Man sollte
meinen, ich würde mich immer an diese wundervolle Stunde in seinem Auto
erinnern, als wir Sandwiches aßen. Doch diese [344]  Erinnerung hat so viele
Nuancen: den Geruch neuen Leders, die Narben an seinem Körper.
    In dieser Nacht, als ich mit Richard einen Whiskey nach dem anderen
trank, noch lange nachdem das Eis alle war und die Flüssigkeit mir warm über
die Zunge rann, war gar nichts klar. Gedanken versuchten, sich nach oben in
mein Bewusstsein vorzuarbeiten, doch ich
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