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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel
Autoren: Anna Stothard
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Blick.
»Wir hätten verkaufen sollen, doch aus irgendeinem Grund wurde es unser
heimliches Ferienhäuschen.«
    »Stimmt es, dass ihr beiden geschieden wart?«, fragte ich weiter.
    »Hat Julie dir das erzählt? Du bist ganz schön rumgekommen, was? Ja,
Lily und ich waren bei ihrem Tod geschieden. Übrigens einer der Gründe, weshalb
wir an jenem Wochenende hier draußen waren«, sagte er. »Um unseren Kram zu
ordnen.«
    »Habt ihr euch in dieser Nacht gestritten?«, sagte ich behutsam.
»Ich meine, warum ist sie so spät nachts so schnell gefahren?«
    »Oh, sie fuhr immer schnell«, sagte er. »Sie ging raus, um einen
klaren Kopf zu bekommen.« Er hielt inne, überlegte. »Darf ich dir einen Rat
geben?«
    »Von mir aus.«
    »Er ist ein wenig sentimental, dieser Rat. Je älter ich werde, desto
sentimentaler werde ich. Vielleicht hat es auch mit ihrem Tod zu tun. Ich hab
das Gefühl, ich bin seitdem um Jahre gealtert.«
    »Aha.« Ich zuckte die Achseln.
    »Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Menschen, [336]  die einen jemals
sehen«, sagte er bedächtig. »Die einen wirklich sehen. Im Laufe der Jahre haben eine Menge Menschen deine Mutter geliebt, wie du vermutlich
inzwischen dank deiner kleinen Schnitzeljagd herausgefunden hast. Aber ich habe
sie gesehen. Wir ähnelten uns in unseren Schwächen, das machte es manchmal
schwer. Schließlich haben wir uns gegenseitig in den Wahnsinn getrieben, aber
ich werde sie immer lieben.« Er verstummte, als wären ihm seine blumigen Worte
ein wenig peinlich. Ich war mir nicht sicher, ob es verlogen klang.
    »Bleibst du noch auf einen Drink?«, fragte Richard nach einer Weile.
»Ich hab nur Whiskey.«
    »Dann Whiskey, okay«, sagte ich.
»Danke.«
    Er schob sich durch die Tür in den Bungalow. Ich drehte den zweiten
Stuhl um und sah ihm zu, wie er die Drinks machte. An der Küchenwand hing ein Foto,
das mir bisher nicht aufgefallen war, von einem wunderschönen roten
Sonnenuntergang, der aussah wie Grenadinesirup in einem Glas Limonade. Richard
brach Eis aus der Eiswürfelschale des Gefrierfachs, zertrümmerte festes Wasser
auf der Granitplatte der Anrichte. Ein Eiswürfel rutschte zu Boden, wo er fast
unmittelbar zu schmelzen begann. Mir fielen die getippten Worte des anonymen
Briefs ein. »Manchmal habe ich das Gefühl, Dich zu erfinden, als gäbe es Dich
nur in meiner Phantasie«, hatte er Lily geschrieben.
    »Hast du diese Liebesbriefe über rote Sonnenuntergänge und
Regenschirme geschrieben?«, fragte ich, als Richard mit zwei Gläsern Whiskey
auf Eis in den Innenhof zurückkam.
    [337]  »Ja, das habe ich. Ich hatte ja keine Ahnung, dass sie die Briefe
aufheben würde. Sie sind ziemlich peinlich.«
    »Mir haben sie gefallen«, sagte ich. Der Whiskey fühlte sich stark
und kalt an auf meiner Zunge, also nahm ich zwei Schluck nacheinander, bemüht,
keine Miene zu verziehen, als er mir in der Kehle brannte. Die Kälte war ein
krasser Gegensatz zur Wüstenhitze und tat mir ein wenig an den Zähnen weh. Ich
dachte: ›Anders als Magenta ist Karmesin eine besonders tiefrote Farbe, die man
gewinnt, indem man getrocknete Insekten in Wasser kocht. Für mich bestand also
die Farbe Rot aus toten Insekten und Sonnenschein.‹ Ich zündete die nächste
Zigarette an, und der Whiskey beruhigte mich etwas. Ich dachte an das Wort »Verschränkung«
und dass in den Briefen stand, dass Lily Wörter mochte. Richard hatte ein Netz
aus Falten um die Augen und um die nach unten zeigenden Mundwinkel. Seine Iris
leuchteten wie Metallklumpen. Ich fragte mich, ob er wohl ins Hotel zurückgehen
würde, nachdem er sein Leben wieder auf die Reihe gebracht hatte, und ob er es
bedauerte, derjenige zu sein, der meine Mutter wirklich »sah«.
    »Deine Landkarten mag ich auch«, sagte ich zu Richard.
    »Danke«, antwortete er. »Das war Lilys Idee. Gelegentlich haben wir
Ausflüge unternommen, auf den Motorrädern – wir legten beispielsweise fest, wo
der Ellbogen Kaliforniens war, und fuhren dorthin. Oder zu den Augenbrauen von
Nevada. Wir wollten auf der Nase jeder großen Stadt der Welt ein Picknick veranstalten.«
Er lächelte.
    [338]  »Welcher Körperteil ist der Bungalow?«, sagte ich und sah durch
die Schiebetür auf die Straßenkarte an der Wand.
    »Keine Ahnung«, sagte er. »Die Zehen?«
    »Und das Pink Hotel?«
    »Los Angeles ist so was wie der Bauchnabel Kaliforniens, findest du
nicht auch?«
    »Gut möglich.« Ich lächelte ein wenig.
    Wir schwiegen, und wieder sah er mir einen Moment lang
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