Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pferde, Wind und Sonne

Pferde, Wind und Sonne

Titel: Pferde, Wind und Sonne
Autoren: Federica de Cescco
Vom Netzwerk:
Gesprächs erzählte sie auch von ihrer Tante Justine, die in der Camargue einen »Mas« besaß, ganz in der Nähe von Saintes-Maries-de-la-Mer. »Was ist das, ein Mas?« wollte Karin wissen.
    »Das ist so ein provenzalisches Wohnhaus; besonders die größeren Gutshöfe werden so genannt. Viele Hofbesitzer sind Bauern«, erklärte Mireille weiter, »aber Tante Justine ist manadière, das heißt, sie lebt vom Ertrag ihrer Herden.«
    »Züchtet deine Tante Pferde?« Karin war ganz rot vor Aufregung, als sie danach fragte.
    Mireille nickte. »Nicht nur Pferde. Sie haben auch mindestens vierzig Stiere. Tante Justine sitzt wie ihre Gardians, die Viehhirten, fast den ganzen Tag im Sattel. Seit zwölf Jahren ist sie Witwe. Onkel Renand kam bei einem dummen Autounfall ums Leben; sein Landrover stürzte in einen Wassergraben. Er wurde verletzt, verlor das Bewußtsein und ertrank. Nach seinem Tod übernahm Tante Justine den >Mas de la Trinité<. Alain und ich verbringen die Ferien und fast jedes Wochenende bei ihr. Wir reiten und schwimmen, wie wir gerade Lust haben.«
    »Da kannst du von Glück sagen«, rief Karin begeistert. Sie wußte, daß die Camargue ein weites Gebiet von Seen, Sümpfen und Ebenen an der Rhonemündung war; sie wußte auch, daß die Camargue als Paradies der weißen Pferde, der Stiere und Flamingos bekannt war. Doch damit endete ihr Wissen. Mireille erklärte ihr, daß die Camargue eigentlich eine Insel sei, die ständig in Bewegung ist, so daß sich die Umrisse und die Wasserarme immerzu verändern.
    Die Eltern hörten aufmerksam zu, während Karin, die leicht dazu neigte, in den Wolken zu schweben, von einem Pferd träumte, auf dem sie durch die wilde, heiße Landschaft ritt... »Kannst du reiten?« hatte Mireille gefragt, als hätte sie Karins Gedanken erraten.
    »Kaum... ehrlich gesagt, nein. Da in der Stadt ist es mit dem Reiten nicht so einfach. Man muß eine Reitschule besuchen, und das kostet viel Geld.«
    Der Vater räusperte sich. Karin warf ihrer Mutter einen Blick zu, aber diese tat so, als hätte sie nichts bemerkt und sagte in gleichmütigem Ton zu Mireille: »So etwas muß man sich schon verdienen. Karin ist nicht auf den Kopf gefallen; aber dieses Jahr hat sie sich in der Schule nicht gerade überanstrengt, nicht wahr, Karin. An sich hatten wir ihr einen Reitkurs versprochen; aber zuerst kommt eben die leidige Schule. Ohne gute Durchschnittsnoten kommt man da nicht durchs Ziel.«
    Karin stellte die Teekanne geräuschvoll auf den Tisch.
    »Du weißt genau, daß wir idiotische Lehrer haben. Außerdem hasse ich Mathematik!«
    Mireille blinzelte ihr zu. »Ich auch!« Da mußten beide Mädchen lachen. Die Eltern wechselten einen vielsagenden Blick, während Mireille zum dritten Mal vom Käseauflauf nahm.
    »Hast du ein eigenes Pferd?« fragte Karin, um vom heiklen Thema abzulenken.
    »Wenn ich bei Tante Justine bin, reite ich immer >Irrlicht<, eine fünfjährige Stute. Auch Alain hat sein Pferd; es heißt >Trotzkopf<, weil es sehr schwer zuzureiten war. Aber der schönste Hengst in der Herde ist >Glanzstern<. Leider hat ihn noch niemand geritten, und er wird wohl auch niemals geritten werden.«
    »Warum?«
    »Weil er einen Knacks hat.« Mireille tippte sich an die Stirn. »Als er noch ein Fohlen war, raste ein Betrunkener mit seinem Motorrad in die Herde und machte sich einen Spaß daraus, die Pferde zu erschrecken. Der Idiot verletzte das Fohlen so schwer, daß Tante Justine glaubte, es müßte getötet werden. >Glanzstern< hat sich erholt, aber er läßt niemanden an sich heran.«
    »Und was ist mit dem Kerl geschehen, der dies gemacht hat?« fragte Karin.
    »Die Gardians haben ihn verprügelt.« Geringschätzig schloß Mireille: »Er war nicht aus der Gegend. Einer aus der Camargue hätte sich so etwas niemals einfallen lassen.«
    Zwei Tage lang waren Karin und Mireille unzertrennlich. Mireille zeigte ihrer neuen Freundin die Stadt. Sie schlenderten am Limmatquai entlang, picknickten auf einer Bank am Seeufer und warfen den Schwänen Brotkrumen zu. Dann, am Nachmittag des zweiten Tages, hatte Karin Mireille beim Packen des Rucksackes geholfen. Sie war niedergeschlagen. Die letzten Ferientage, die ihr noch bevorstanden, kamen ihr endlos öde vor. »Mach doch nicht so ein Gesicht!« hatte Mireille zu ihr gesagt, als sie zum Bahnhof fuhren. »Wir sehen uns im nächsten Jahr wieder; außerdem schreibe ich dir.«
    Karin hatte genickt, aber sie glaubte nicht, daß Mireille ihr Versprechen halten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher