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Pferde, Wind und Sonne

Pferde, Wind und Sonne

Titel: Pferde, Wind und Sonne
Autoren: Federica de Cescco
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würde. Sie hatte gewiß anderes zu tun, um auch noch ans Briefschreiben zu denken. In ihrem Leben war so ein Aufenthalt in Zürich gewiß ohne Bedeutung. Lange Zeit behielt Karin das Bild der jungen Französin deutlich in Erinnerung, wie sie ihr noch aus dem Abteilfenster des anfahrenden Zuges zuwinkte. Sie sah ihr Lächeln, den zerzausten Haarschopf, das Khakihemd, das vom Rucksack zerknautscht war...
    Groß war ihre Überraschung, als sie knapp eine Woche später eine Postkarte aus Brüssel erhielt, dann eine zweite aus Amsterdam. Nach einem Monat traf ein langer Brief aus Arles ein. Die Ferien waren auch für Mireille zu Ende, und sie schilderte acht Seiten lang, was sie auf ihrer Reise erlebt hatte. Sie war also ein Mädchen, das sein Wort hielt, und auch ein Mädchen, das gerne Briefe schrieb! Da Karin ebenfalls gerne Briefe schrieb und erzählte, was sie erlebte und was sie bewegte, ergab sich bald ein großer Briefwechsel zwischen Zürich und Arles.
    Kurz nach Ostern kam der Brief, der bei Karin eine drei Monate lange fieberhafte Ungeduld auslöste: Mireille lud sie ein, den Monat Juli auf dem »Mas de la Trinité« in der Camargue zu verbringen!
    »Ich sprach mit Tante Justine über Dich, und da schlug sie mir vor, Dich doch einzuladen. Im >Mas< ist viel Platz, und wir haben oft Gäste. Komm! Von morgens bis abends werden wir reiten. Du brauchst keine Angst zu haben, Tante Justine wird Dir ein Pferd geben, das keine Launen hat. Du wirst auch meinen Bruder Alain kennenlernen. Da fällt mir ein, ich zeigte ihm Dein Foto und fragte ihn, wie er Dich findet. Er antwortete: >Nicht besonders!< Mädchen interessieren ihn überhaupt nicht, meint er, aber ich glaube ihm kein Wort. Na, Du wirst ja selbst sehen...« Nicht ohne Herzklopfen las Karin ihren Eltern Mireilles Brief vor, wobei sie die Stelle, die Alain betraf, ausließ. Schließlich ging das niemanden etwas an. Natürlich war die Einladung wieder einmal für Mama eine gute Gelegenheit, Bedingungen zu stellen. »Grundsätzlich haben wir nichts dagegen. Aber deine Ferien in der Camargue hängen davon ab - das kannst du dir ja denken -, ob man in der Schule mit dir zufrieden ist. Schreib Mireille, daß du noch nicht endgültig Zusagen kannst.«
    Karin ärgerte sich über diese Kleinlichkeit, aber sie sagte nichts. Ihr Entschluß war aber schnell gefaßt. Schon vom nächsten Tag an büffelte sie englische Vokabeln, schwitzte verbissen über der Algebra. Sie arbeitete selbst samstags nachmittags und sonntags, machte ihre Aufgaben, ohne Schallplatten laufen zu lassen. Der Erfolg blieb nicht aus: Ihr Zeugnis ergab eine so gute Durchschnittsnote, daß sich die Eltern freudig überrascht zu allem bereit erklärten: Karin durfte in die Camargue fahren, ja, sie durfte sich neue Jeans kaufen und sogar die Reitstiefel, um die sie schon seit vergangenem Herbst vergeblich gebettelt hatte!
    Die letzten Einzelheiten wurden mit Mireille und ihrer Tante telefonisch besprochen. Selbst aus weiter Ferne klang Frau Colombs Stimme warm und fröhlich. Sie freute sich darauf, sie bald kennenzulernen. Danach krochen die Tage bis zur Abreise wie Schnecken dahin. Karin konnte es kaum fassen, daß sie nun wirklich morgen reisen sollte!
    »So antworte doch!« Mamas Stimme riß sie aus allen Wolken. »Hast du mich gehört oder nicht?« Mama hatte sich umgezogen; sie trug jetzt einen geblümten Kasack und eine blaue Hose. »Ich sagte, du sollst mich mittags im Büro abholen. Ich komme mit zum Bahnhof, um deine Fahrkarte zu besorgen. Ach ja, fast hätte ich’s vergessen - hier ist noch Geld für deine Einkäufe, aber gib es nicht für unnützes Zeug aus!«
    Mama ging; morgens hatte sie es immer eilig. Vater ließ sich beim Frühstück Zeit. Er war Typograph, und seine Druckerei lag nur fünf Minuten vom Haus entfernt, so daß er weder die Straßenbahn noch ein Auto zu benutzen brauchte. Er half Karin meistens, das Morgengeschirr abzuwaschen und die Küche in Ordnung zu bringen.
    »Sag, Papa, leihst du mir deinen Rucksack? Ich habe keine Lust, einen Koffer zu schleppen.« Papa besaß einen schönen roten Bergsteiger-Rucksack mit vielen Taschen.
    »Unter der Bedingung, daß du ihn mir in gutem Zustand zurückbringst, nicht mit Petroleumflecken wie das letzte Mal.« Karin blieb allein in der Wohnung zurück. Sie wusch sich die Haare und trocknete sie mit Mamas Fön. Eine halbe Stunde später war sie auf dem Weg in die Innenstadt, um in den Kaufhäusern zu stöbern. Sie probierte ein halbes
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