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Pferde, Wind und Sonne

Pferde, Wind und Sonne

Titel: Pferde, Wind und Sonne
Autoren: Federica de Cescco
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Französisch: Ihre Mutter stammte aus Lausanne. Sie zupfte das Mädchen am Arm und flüsterte ihm zu: »Wenn du keine Fahrkarte hast, hau ab!« Das Mädchen kapierte sofort und bahnte sich einen Weg zum Ausgang, wobei sie mit ihrem Rucksack an alle Leute stieß. Die Straßenbahn hielt an. Das Mädchen stieg aus, und Karin folgte ihr, obgleich das gar nicht ihre Haltestelle war. Da standen sie sich nun gegenüber, während die Straßenbahn samt Kontrolleur weiterfuhr.
    »Vielen Dank! Da hab’ ich aber Glück gehabt!« grinste das Mädchen. Sie sprach sehr schnell, mit südfranzösischem Tonfall. Karin bemühte sich, ihr zu erklären, wie man eine Fahrkarte am Automaten löst.
    »Hätte der Kontrolleur dich erwischt, wärst du zwanzig Franken los!«
    »Zwanzig Schweizer Franken!« Das Mädchen war entsetzt. »Für so viel Geld kann ich dreimal essen und eine Nacht in der Jugendherberge verbringen!« Dann erzählte sie, daß sie aus Südfrankreich, aus Arles, stamme, dem Hauptort der Provence an der Rhonemündung. Mireille Colomb war ihr Name. Sie reiste mit ihrem Zwillingsbruder Alain. Beide hatten ein Jugend-Generalabonnement für das ganze europäische Eisenbahnnetz und schliefen in Jugendherbergen. An jenem Morgen hatte sie sich von ihrem Bruder getrennt, der in Luzern einen Freund besuchen wollte.
    »Alain ist schon in Ordnung, aber er schwärmt zuviel für Fußball, was ich nicht ausstehen kann. Schon allein bei dem Gedanken, die ganze Zeit von Toren, Eckbällen und Strafstößen reden zu hören, gehe ich die Wände hoch! Mein Bruder soll sehen, wie er mit dem fertig wird. Wir treffen uns in zwei Tagen in Basel und fahren dann gemeinsam nach Köln weiter.«
    Mireille entfaltete umständlich ihren Züricher Stadtplan. »Siehst du, da ist die Jugendherberge. Ist das weit von hier?«
    »Man muß die Straßenbahn nehmen und dann noch ein ganzes Stück zu Fuß gehen«, sagte Karin.
    »Daß Jugendherbergen immer am Ende der Welt liegen müssen!« seufzte Mireille und schob ihren Rucksack zurecht. »Also dann, los! Schließlich muß ich heute nacht doch in einem Bett schlafen.«
    »Wenn du willst, begleite ich dich«, schlug Karin vor.
    »Wenn du Zeit hast!«
    »Klar, ich habe Ferien!«
    Bis zur Jugendherberge war es eine gute halbe Stunde. Als sie endlich verschwitzt und aufgelöst ankamen, erklärte ihnen die Herbergsmutter freundlich, aber bestimmt, daß alles besetzt sei. »Du hättest dich vorher anmelden müssen«, sagte sie zu Mireille. Bestürzt stand diese vor der Tür, mit dem schweren Rucksack, dessen Riemen in die Schultern schnitten, einem knurrenden Magen, dem Bedürfnis nach einem WC und einer Dusche. »Mensch, was mache ich jetzt? Schweizer Hotels sind sündhaft teuer, und in der Auskunft am Bahnhof sagte man mir, daß alle billigen Zimmer schon vergeben seien.«
    Karin überlegte nicht lange.
    »Du kannst ja bei uns übernachten«, schlug Karin vor. »Ich muß allerdings erst fragen... du weißt ja, wie Eltern sich anstellen.« Sie sahen sich nach einer Telefonkabine um, und Karin rief die Versicherungsgesellschaft an, bei der ihre Mutter arbeitete. »Was, du hast das Mädchen in der Straßenbahn aufgelesen, und nun willst du, daß sie über Nacht bei uns bleibt? Aber... wann hast du sie denn kennengelernt?«
    »Vor einer halben Stunde...«, antwortete Karin zerknirscht. Mama verschlug es fast die Sprache.
    »Weißt du denn überhaupt, woher sie kommt und ob sie...?«
    »Mama, ich bitte dich! Du kannst sicher sein, sie ist nett...«
    »Also gut«, seufzte Mama. »Ich verlasse mich auf dein Gefühl. Lad sie zum Abendessen ein, dann werden wir ja sehen. Frage sie, ob sie Käseauflauf mag. Ich bin zu müde, um groß zu kochen.«
    Strahlend brachte Karin die junge Französin mit nach Hause. Mireille kam bei Karins Eltern gar nicht schlecht an. Für ihr Alter gab sie sich wirklich ungewöhnlich selbstsicher und war auch sympathisch, fröhlich und unternehmungslustig. Mireille erzählte, daß ihre Eltern geschieden seien, daß sie mit ihrem Bruder bei der Mutter lebte, die in Arles eine Boutique mit einheimischem Kunstgewerbe führte. Ihr Vater hatte sich wieder verheiratet und wohnte in Nizza. Sie sahen ihn nicht oft. Die Zwillinge besuchten gemeinsam das Gymnasium.
    »Wir sind in derselben Klasse, und das ist unerträglich«, seufzte sie. »Alain und ich haben einen Altersunterschied von nur zwanzig Minuten. Gott sei Dank bin ich die Ältere, das sichert mir wenigstens einige Vorrechte!« Im Laufe des
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