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Pferde, Wind und Sonne

Pferde, Wind und Sonne

Titel: Pferde, Wind und Sonne
Autoren: Federica de Cescco
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ich versichere dir, ihm kein Haar seiner Mähne zu krümmen. Mein Haus ist für dich zu jeder Zeit offen.«
    Karin blickte Tante Justine mit ausdruckslosen Augen an. Die Bedeutung der Worte drang nur langsam in ihr Bewußtsein ein. >Glanzstern< sollte ihr gehören! Wie war das möglich? Womit hatte sie das verdient? Die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Keinen Laut vermochte sie hervorzubringen. Tante Justines Bild, mit dem Glas in der Hand, verzerrte sich, verschwamm hinter Freudentränen, die ihr in die Augen stiegen.
    Gepolter schreckte sie auf. Sie sah Alain seinen Stuhl umstoßen und wie einen Verrückten aus dem Zimmer rasen.
     

Sechzehntes Kapitel
     
     
     
    Hinter dem Hauptgebäude befand sich ein Schuppen, wo Werkzeug, Pferdegeschirr und Fischernetze auf bewahrt wurden. Dort stellte Alain auch sein Moped unter.
    Karin blieb zögernd auf der Schwelle stehen. Sie brauchte eine Weile, bis sich ihre Augen nach dem grellen Sonnenlicht an das Halbdunkel im Schuppen gewöhnt hatten. Endlich entdeckte sie Alain, der auf einem Stapel leerer Getreidesäcke hockte. Sie trat ein und setzte sich neben ihn, die Arme um die Knie geschlungen. Nach einer Weile sagte Karin: »Weißt du, ich wollte dir das Pferd nicht wegnehmen. Es kam alles ganz von selbst.«
    Alain blickte vor sich hin und schwieg.
    Karin fuhr fort: »Sicher, ich hätte mit dir reden sollen. Aber ich habe keinem Menschen etwas davon gesagt. Auch Mireille nicht. Sie ist mir in der Nacht gefolgt und hat so alles entdeckt.« Immer noch Schweigen. Karin machte einen neuen Versuch: »Wenn du willst, kannst du...«
    Er unterbrach sie mit heftigem Kopfschütteln. »Wenn ich will, kann ich was? Dein Pferd reiten, wenn du nicht hier bist?«
    Sie biß sich auf die Lippe: Genau das hatte sie sagen wollen! Voller Verachtung spuckte er seine Worte aus: »Nein, danke! Behalte den Gaul für dich! Ich... ich werde mir ein anderes Pferd aussuchen. Dieses Biest interessiert mich nicht mehr!«
    »Gut«, antwortete Karin ruhig.
    Wieder vergingen einige Sekunden. Karin konnte Alains Trotz nicht ausstehen; das machte sie richtig krank. Sie warf ihr Haar aus dem Gesicht und stand auf.
    Alain hob den Kopf und blickte sie unglücklich an. »Was habe ich denn falsch gemacht?« stieß er hervor.
    Karin holte tief Luft, ehe sie antwortete: »Du hast ihn verfolgt und ihm Angst eingejagt. Deine Schuld war es, daß er über den Stacheldraht sprang und sich verletzte. Du hast ihn durch Gewalt zähmen wollen...«
    »So springt man doch mit widerspenstigen Tieren um, oder?« fiel er ihr trotzig ins Wort. »Ein Pferd muß seinen Herrn spüren...«
    »Das Pferd ist ein Lebewesen wie du und ich. Natürlich kannst du es gewaltsam unterwerfen; aber das wird dir nicht lange nützen.«
    »Das ist doch Gerede!« Alains Gelächter klang gekünstelt. »Bist du gekommen, um mir eine Moralpredigt zu halten?«
    »Das ist mein gutes Recht«, gab Karin zurück.
    Im Halbdunkel trafen sich ihre Augen. Karin wich seinem Blick nicht aus. Alain dachte, daß sie nicht wiederzuerkennen war, daß er sie überhaupt nie gekannt hatte. Sie war nachgiebig, aber selbstbewußt; gutherzig, aber unerbittlich; sanft, aber stolz. Und er begriff plötzlich, daß sie gerade durch ihre Sanftheit die Stärkere war.
    Schwerfällig erhob er sich. Sie reichte ihm kaum bis zur Schulter. »Du hattest verdammt viel Mut, in das Feuer zu rennen«, stieß er endlich hervor.
    »Das glaubst du!« gab sie zurück.
    Alain senkte die Wimpern. Er strich sich mit der Hand über die Stirn. »Ich wollte einfach nicht, daß er getötet wird, verstehst du...« Er wandte sich ab. Tränen liefen ihm über die Wangen und bildeten Rinnsale auf seinem verstaubten Gesicht. Er zerdrückte sie mit der Faust.
    Nach einer Weile sagte er mit belegter Stimme: »Hast du kein Taschentuch?«
    Sie kramte in ihrer Hosentasche. »Es ist schmutzig.«
    »Macht doch nichts.«
    Er putzte sich die Nase und fuhr sich mit dem Taschentuch über
    die Wangen. Auf einmal horchten beide auf. Hufschläge hallten über den Weg. Die Gardians kamen zum Mittagessen. »Komm, laß uns ins Haus gehen, sonst werden sie sich fragen, wo wir stecken«, meinte Alain.
    »Sie denken sicher, wir prügeln uns.«
    Zögernd blickte einer den anderen an. Plötzlich, wie von einer Last befreit, brachen beide in Gelächter aus. Sie lachten noch immer, als sie den Schuppen verließen. Mireille, die sie voller Unruhe rings um das Haus gesucht hatte, blickte den beiden kopfschüttelnd entgegen. Wer
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