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Pferde, Wind und Sonne

Pferde, Wind und Sonne

Titel: Pferde, Wind und Sonne
Autoren: Federica de Cescco
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Hand. Sie trat zu >Schwarz< heran. Ein glasiger Schleier überzog seine Pupillen. Tante Justine faßte den Abzug und zielte. Karin wandte sich ab und drückte das Gesicht an Alains Schulter. Der Schuß zrerriß die Stille. Ein Vogelschwarm schwirrte aus dem Schilf empor und kreiste in der flimmernden Luft.
    Karin hob den Kopf und sah Tante Justine mit großen Schritten auf den Landrover zugehen. Sie warf das Gewehr in den Wagen und gab den Gardians entschlossen ein Zeichen. »Los! Wir dürfen keine Minute verlieren!«
    Karin spürte, wie Alain erbebte. Er stieß sie zurück und rannte seiner Tante nach, die bereits am Steuer saß.
    »Nein!« schrie er. »Tu das nicht!«
    Ohne zu antworten, mit unbewegtem Gesicht, ließ sie den Motor anlaufen.
    »Tante Justine, ich bitte dich!«
    »Mach, daß du wegkommst!« fuhr sie ihn an. »Er hat einen meiner wertvollsten Hengste umgebracht. Jetzt ist endgültig Schluß!«
    »Aber du hast ihn mir versprochen!« rief Alain verzweifelt.
    Er stand auf dem Trittbrett und versuchte, den Türgriff zu öffnen. Tante Justine fuhr an, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
    Der plötzliche Ruck ließ ihn nach hinten kippen. Er verlor das Gleichgewicht und taumelte zu Boden. Im Galopp sprengten die Gardians an ihm vorbei und hüllten ihn in eine gelbliche Staubwolke. Erst jetzt fand Karin ihre Geistesgegenwart wieder. »Wohin wollen sie?« rief sie.
    »Tante Justine jagt >Glanzstern< nach, um ihn zu erschießen«, keuchte Mireille, die, kreidebleich, sich bemühte, >Irrlicht< zurückzuhalten. Dann gab sie die Zügel frei und galoppierte den Gardians nach.
    »Alain!« schrie Karin. »Was machen wir...?«
    Er faßte sie am Arm und zerrte sie mit sich. Sie rannten auf >Rosa< zu. Alain half Karin beim Aufsteigen und ergriff die Zügel. »Ich kenne einen kürzeren Weg!« stieß er hervor.
    In rasendem Tempo lenkte er >Rosa< durchs Schilf. Karin preßte die Schenkel an die schweißbedeckten Flanken der Stute. Heißer Wind peitschte ihr ins Gesicht. Sie überholten den Landrover, der wie ein riesiger, ungeschickter Käfer über den Weg schaukelte und eine Staubfahne zurückließ. Die Gardians ritten in einem weit ausgedehnten Halbkreis. >Glanzstern< hatte einen Vorsprung, doch allmählich verringerte sich der Abstand. Er näherte sich einem Dickicht aus Ginster- und Mastixsträuchern am Rande eines kleinen Sees. Pfähle, an denen Fischernetze trockneten, standen im flachen Wasser. Auf der anderen Seite breitete sich eine Sandfläche bis zum Meer aus.
    Tante Justine hatte den Wagen angehalten. Sie stand da, mit dem Gewehr in der Hand, während die berittenen Gardians ihren Kreis langsam schlossen, um dem Hengst den Weg abzuschneiden.
    Alain ließ >Rosa< in Trab fallen. Er beschattete die Augen mit der Hand und spähte nach allen Seiten.
    »Sie wollen ihn aus dem Dickicht treiben und ihn zum Strand jagen!« keuchte er. »Auf freier Ebene wird ihn Tante Justine in die Schußlinie bekommen. Es bleibt ihm nur noch die Möglichkeit, den See zu durchschwimmen.«
    »Wenn man ihm das nur erklären könnte!« stöhnte Karin.
    Sie hatten ihre Rivalität, ihre Streitigkeiten vergessen. Beide Gesichter drückten die gleiche Angst und die gleiche Entschlossenheit aus.
    »Ich hab’s!« rief er zögernd. »Es ist gewagt, aber es bleibt uns keine andere Wahl!«
    Er sprang in der Nähe des Dickichts von seinem Reittier ab und deutete Karin, das gleiche zu tun. Karin folgte ihm durchs Schilf, das ihre nackten Beine zerkratzte. Staub reizte ihre Kehle. Sie hustete, die Nase lief, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Plötzlich hielt Alain an. In kurzer Entfernung raschelte das Unterholz.
    »Das ist er!« flüsterte Alain. »Es ist besser, wir gehen nicht weiter.«
    Karin reckte den Hals, um das Schilfmeer zu überblicken. Von allen Seiten ritten die Gardians heran. Immer enger wurde der Kreis. Trotz der Distanz erkannte Karin deutlich Tante Justines Gestalt am Rande des Fahrweges. Die Sonne blitzte auf ihrem Gewehrlauf.
    »Die soll sich wundern!« knirschte Alain.
    Karin sah ihn aus seiner Tasche eine Streichholzschachtel hervorholen. Auf einmal durchschaute sie, was er vorhatte, und biß sich erschrocken auf die Lippen. Da... ein Geräusch! Beide wandten sich um. Das Schilf knackte und knisterte, während Mireille im Galopp geradewegs auf sie zukam. Staub und Schweiß verkrusteten ihr Gesicht.
    »So ein Wahnsinn!« brüllte sie. »Ihr seid genau in der Schußlinie!«
    »Verschwinde!« fauchte Alain. Er
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