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umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)

umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)

Titel: umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)
Autoren: Minck
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01
    Der Sommer war vorbei. Ich hatte überlebt. Das war aber auch schon beinahe alles, was es dazu zu sagen gab. Ich war mit Oma Berti Blaschke zur Kur gewesen. Nicht, dass ich sonderlich entspannt wiedergekommen wäre, nein, diese Kur hatte sehr lange Schatten geworfen. Aber nicht lang genug, als dass die Weltöffentlichkeit Interesse daran gezeigt hätte, dass Maggie Abendroth von einer Irren beinahe zu Tode gehetzt worden war und ganz nebenbei ihrem Ex das Leben gerettet hatte. Talkshow? Fehlanzeige. Stern, Bunte, Gala? Nada. Sogar die Aussichten, vor Gericht meine fünf Minuten Berühmtheit zu kriegen, waren denkbar schlecht. Die Irre war geständig und eher ein Fall für die geschlossene Psychiatrie, und ich? Ich hatte mir nur aus all den Dingen, die ich nicht gesehen hatte, mithilfe von Herrn Matti den Tathergang zusammengereimt. Und auf Reime gibt Madame Justitia gar nichts. Die ist zwar blind, aber nicht blöd.
    Die Welt hatte sich im Sommer außerdem nur für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft interessiert, und jetzt interessierte sie sich für die Lebensbeichte eines gewissen Dieter Bohlen und die Jahrhundertflut, die den Deutschen entlang der Oder mit authentischem Bangladesh-Feeling Angst einjagte.
    Ich hatte das überaus große Glück, bei den vorgenannten Ereignissen nicht im Mindesten die Finger drin zu haben. Anstatt in Köln lustige Drehbücher mit fein geschliffenen Dialogen zu schreiben und an Wochenenden meine goldene Mastercard heiß laufen zu lassen, saß ich in Bochum herum, pflegte meine Schreibblockade, hatte keinen Knopf auf der Naht und freute mich wie eine Schneekönigin über Rabattkupons für dreimal Shampoo zum Preis von zweien und Gebinde von fünf Dosen Katzenfutter und eine Tüte Katzenstreu gratis.
    Vor zwei Wochen hatte es bei Real tatsächlich für drei blaue Kupons zehn Tüten Milch zum Preis von acht und ein wasserdichtes Transistorradio gegeben. Obwohl ich Milch überhaupt nicht ausstehen kann, war ich an besagtem Morgen die Erste an der Tür des Einkaufsparadieses gewesen. ›Ich freue mich eben über die kleinen Dinge im Leben‹ war mein neues Mantra, um den Pegel meines Missvergnügens unter der Land-unter-Grenze zu halten. Die Gratisproben dieser Welt waren meine Sandsäcke gegen die Flut, die da hieß: Maggie Abendroth, du bist ein Loser – du hast kein Haus, kein Äffchen und kein Pferd. Aber meine Realität scherte sich einen feuchten Kehricht um Sandsäcke, Mantras und Trostpflästerchen. Sie sickerte durch jede Ritze, vor allem, wenn das Gratisradio nach drei Tagen schon den Geist aufgab. Ich drückte mir die Nase immer noch an den Schaufenstern der teuren Damenoberbekleidungsgeschäfte platt, seufzte jedem ledergebundenen Notizbuch hinterher und hoffte auf ein Wunder. Vielleicht fällt mal eines Tages ein Dolce & Gabbana- Transportcontainer aus einem Frachtflugzeug, direkt vor meine Haustür. Vielleicht wird aber auch meine beste Freundin Wilma eines Tages so dick wie ich, und dann können wir endlich Klamotten tauschen. Von einem Transportcontainer erschlagen zu werden, war bestimmt die wahrscheinlichere Variante. Wilma war schließlich ein Ex-Model und so diszipliniert wie ein Olympionike, wenn es um ihr Aussehen ging.
    Weil Wunder eben zuweilen lange auf sich warten lassen, hatte ich mir für die vor der Tür stehende Herbst-Winter-Saison ein paar Doc Martens auf dem Flohmarkt gekauft, und die halten bestimmt noch bis zum Sankt Nimmerleinstag. Laut den Versprechungen der Herstellerfirma könnte ich damit sogar begraben werden. Und wenn in 300 Jahren der Ururururur-Enkel von Indiana Jones eine Ausgrabung macht, wird er sehr viel darüber nachgrübeln müssen, wie die menschliche Zivilisation mit säurefesten Gummisohlen in Verbindung zu bringen war.
    Ich fand also neuerdings Gefallen an Flohmarktschnäppchen, der Kuponsammelei und der Produktauswahl von Ein-Euro-Shops. Ich besaß zwei Jeans, ein schwarzes Jackett, vier T-Shirts, einen XXL-Pullover von Gaultier, ein Geschenk von meinem besten Kumpel Winnie Blaschke, den ich wie einen Schatz hütete; außerdem ein Apple- Notebook, in Ermangelung von Schreibfluss völlig unbenutzt, und eine große Tasche, in die alles reinpasste.
    Mein Souterrain, im dem ich eigentlich längst wieder wohnen sollte, war nach einem kapitalen Wasserschaden nach zehn Monaten ergebnisloser Renovierung durch meinen Vermieter immer noch nicht benutzbar. Im Bad gab es mittlerweile einen Stapel rosa Fliesen, die nicht an der Wand haften
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