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Paul ohne Jacob

Paul ohne Jacob

Titel: Paul ohne Jacob
Autoren: Paula Fox
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erfunden hatte, seine Freude in die Wellen hinausschrie und in den Wind, der von ihnen herwehte.
    Auch den Weg zu der sieben Häuserblocks entfernten Hauptstraße von Brasston, die auch die Einkaufsstraße war, legte er lieber allein zurück. Sie lag in der entgegengesetzten Richtung von der Schule, in die er im September gehen würde.
    Dort gab es kleine Läden und Restaurants, eine Bücherei aus gelbem Backstein, wo er einen Leserausweis beantragte und erhielt, und ein mit Brettern zugenageltes Kino mit einem Vordach, an dem Buchstaben fehlten, sodass dort stand: Al Bab und die 4 Räuber.
    Am liebsten fuhr Paul mit seinem Vater im Auto zur Tierklinik. Von dort konnte er über die lang gestreckte Wiese zum Wald gehen.
    Von Dr. Gold, einem der anderen Tierärzte, die in der Klinik praktizierten, erfuhr Paul, dass es sich um eines der wenigen echten, unberührten Waldgebiete handelte, die es auf Long Island noch gab.
    »Sonst wurde jedes Fleckchen Erde verkauft, um Einkaufszentren darauf zu bauen oder Wohnhäuser wie auf dem Erschließungsgelände hinter dem Wald«, sagte Dr. Gold. »Lauf nicht zu weit weg«, ermahnte er ihn noch und streichelte dabei eine junge Katze, die ihm vom Untersuchungstisch leise entgegenfauchte. »Still, Letitia. Das Schlimmste ist überstanden«, murmelte er.
    An der Tür zur Praxis seines Vaters blieb Paul stehen. Ohne aufzusehen, ganz in die medizinischen Unterlagen vertieft, die er gerade las, sagte Daddy: »Sieh aber zu, dass du in drei Stunden wieder da bist.«
    Paul ging über die Wiese. Sie war überwuchert mit Dornengestrüpp, Unkraut und Wiesenblumen, an denen winzige Knospen mit ungeöffneten Blüten hafteten. Als er in den Wald kam, zerbrach das kräftige Sommerlicht wie eine dünne Glasscheibe zu glitzernden Splittern, die auf Blätter und Baumstämme und vorstehende Wurzeln fielen.
    Von einer der Schnellstraßen, die sich rings um Long Island und quer durch die Mitte hindurchwanden, hörte Paul den Verkehr als ein fernes, beständiges Brummen wie von Bienen. Ab und zu erinnerte ihn das Kreischen einer Kettensäge, deren Krokodilsgebiss sich lärmend durch Holz bohrte, an das Erschließungsgebiet hinter dem Wald, von dem Dr. Gold gesprochen hatte.
    In den Ästen über ihm zwitscherten Vögel, die er nicht sehen konnte. Ihre schattenhaften Bewegungen im Blattwerk waren wie Gedanken, die sich nicht fassen ließen.
    Wenn er zwischen den Bäumen weiter vordrang, vertiefte sich die Stille. Ein Angstschauer prickelte ihm wohlig auf den Armen. Er war allein, und das war etwas ganz anderes, als bei geschlossener Tür allein in seinem Zimmer zu sein.
    Jacob kam nicht in diesen Wald.
    Auf seinen Streifzügen fand Paul allerhand Sachen. Eines Nachmittags langte er im dichten Unterholz nach einem großen, runden Stein, um sich abzustützen. Kurz darauf hatte er das Gestrüpp entfernt und eine bröckelige Steinmauer freigelegt. Und ein paar Meter weiter entdeckte er niedrige Grundmauern von einem Gebäude, das früher mal eine Hütte oder ein kleines Bauernhaus gewesen war. In der näheren Umgebung lagen verwitterte Bretter in allen möglichen Größen auf dem Boden verstreut.
    Ohne dabei einen bestimmten Plan zu verfolgen, begann er alles Holz aufzusammeln, das er finden konnte. Das machte er einfach so, nur aus der Freude heraus, die es ihm bereitete, sich in diesem Wald zu betätigen, den er mittlerweile als sein Eigentum betrachtete. Eines Tages stieß er auf einen Männerstiefel und fand später auch den zweiten dazu. Er sammelte ein Paar Arbeitshandschuhe auf, die vor Dreck starrten, einen kaputten Bilderrahmen, eine kleine Rolle rostigen Maschendraht und zersplitterte Teile einer Angelrute aus Bambus.
    Er achtete stets darauf, den Wald nach drei Stunden oder nach zwei – je nachdem, was Daddy ihm gesagt hatte – wieder zu verlassen. Sein Vater sollte ihn nicht suchen kommen. Er stand immer pünktlich neben ihrem Auto, einem gebrauchten Camry, den Dr. Coleman am Ende ihrer ersten Woche in Brasston hatte kaufen müssen.
    »W ie war’s?«, fragte Daddy eines Tages, als er den Wagen anließ.
    »Ganz gut«, antwortete Paul.
    »Sobald die Schule anfängt, lernst du auch andere Kinder kennen«, sagte Daddy.
    »Ja. Ich weiß«, sagte Paul.
    »Hoffentlich wird’s dir jetzt nicht zu langweilig«, sagte sein Vater.
    »Mir geht’s gut«, sagte Paul.
    Er war so erfüllt von seinem Aufenthalt im Wald, dass er bei ihren Fahrten durch die stillen Vorortstraßen restlos glücklich war. Inzwischen
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