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Infiziert

Infiziert

Titel: Infiziert
Autoren: Scott Sigler
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Prolog
Das ist der Ort …
    Alida Garcia stolperte durch den dichten Winterwald und zog eine Blutspur hinter sich her, die auf dem blendend weißen Schnee wie der strahlend rote Schweif eines Kometen aussah.
    Ihre Hände zitterten heftig. Es gelang ihr kaum, eine Faust zu machen. Die großen, schweren Schneeklumpen, die überall um sie herum zu Boden fielen und zu schmelzen begannen, kaum dass sie ihre Haut berührten, hatten ihre krallenartigen Finger völlig durchnässt und fast empfindungslos gemacht. Würde sie es überhaupt schaffen, den Abzug von Luis’ altem Revolver zu drücken, wenn der Zeitpunkt gekommen wäre?
    Der scharfe Schmerz in ihrem Magen ließ sie wieder an die Mission denken, die göttliche Mission.
    Irgendetwas war nicht in Ordnung. Nein, verdammt. Es war überhaupt nichts mehr in Ordnung, seit sie sich zum ersten Mal am Bauch und am Ellbogen gekratzt hatte. Und es gab etwas, das noch weniger in Ordnung war. Etwas in ihr. Das alles sollte nicht so sein … irgendwie wusste sie das.
    Sie warf einen Blick zurück über den blutigen Pfad, der durch den Schnee führte, und hielt nach möglichen Verfolgern Ausschau. Sie sah niemanden. Jahrelang hatte sie in Angst vor den Beamten der Einwanderungsbehörde gelebt, doch das hier war etwas anderes. Niemand wollte sie ausweisen. Jetzt wollten sie sie umbringen.
    Ihre Haut war von Zweigen zerkratzt, und Blut sickerte aus ihren Armen und Beinen. Ihr linker Fuß blutete ebenfalls.
Irgendwann hatte sie ihren Schuh verloren. Die dünne, raue Kruste auf dem Schnee gab bei jedem Schritt ein scharfes Knirschen von sich. Sie wusste nicht, warum ihre Nase blutete. Sie blutete einfach. Doch all diese Dinge waren nebensächlich im Vergleich zu dem Blut, das sie alle paar Minuten erbrach.
    Sie musste weitergehen, musste weitergehen und den Ort finden … den Ort, an dem alles beginnen würde.
    Alida sah zwei gewaltige Eichen, deren Äste einander zugewandt waren. Sie wirkten wie jahrhundertealte Liebende, die einander umarmen wollten, ein Bild ewig unerfüllter Sehnsucht. Wieder dachte sie an ihren Ehemann Luis, und sie dachte an das Baby. Dann schob sie diese Vorstellungen beiseite. Sie konnte über diese Dinge genauso wenig nachdenken wie über das widerliche Ding an ihrem Bauch.
    Sie hatte getan, was sie tun musste.
    Drei Kugeln für Luis.
    Eine für das Baby.
    Eine für den Mann im Auto.
    Blieb noch eine Kugel.
    Sie stolperte und verlor das Gleichgewicht. Sie streckte die Arme aus, um ihren Sturz abzufangen, doch ihre blutigen Hände bohrten sich in den kniehohen Schnee. Eine Hand krachte gegen einen unsichtbaren Felsen. Sie fühlte noch mehr den schneidenden, kalten, lähmenden Schmerz und brach mit dem Kopf durch die Schneekruste. Sie setzte sich wieder auf. Nasser Schnee und Eis klebten an ihrem erschöpften Gesicht. Erneut erbrach sie sich. Blut schoss aus ihrem Mund und spritzte auf den weißen Schnee.
    Blut und ein paar nasse Klumpen von etwas Schwarzem.
    Es tat so weh. Es tat so schrecklich weh.

    Sie rappelte sich hoch, hielt jedoch gleich wieder inne und starrte die beiden Eichen an. Sie beherrschten eine natürliche Lichtung, ihre kahlen Zweige bildeten einen skelettartigen Baldachin von mindestens fünfzig Metern Durchmesser. Ein paar tote Blätter klammerten sich verbissen an die Zweige und schaukelten leicht im Winterwind. Ihr war nicht klar, wonach sie gesucht hatte. Sie wusste nur, dass sie in die Wälder gehen musste, tief hinein in die Wälder, wohin niemand kam.
    Das war es. Das war der Ort.
    Hier würde die lange Reise enden. In Jackson hatte sie das Auto des Mannes genommen. Der Mann hatte gesagt, er gehöre nicht zu la migra, der Einwanderungspolizei, doch diese Leute hatten sie ihr ganzes Leben lang gejagt, und sie wusste es besser. Er hatte die Waffe angestarrt, wiederholt, er gehöre nicht zu la migra, und behauptete, er suche nur einen Schnapsladen. Alida wusste, dass er log. Sie sah es in seinen Augen. Sie hatte ihn an Ort und Stelle zurückgelassen, sein Auto genommen und war durch die Nacht gefahren. Später hatte sie den Wagen in Saginaw stehen lassen. Sie war auf einen Güterzug gesprungen und hatte angefangen, nach den großen Wäldern Ausschau zu halten. Solange sie mehr oder weniger in Richtung Norden fuhr, war nichts weiter von Bedeutung.
    Genau genommen bestand ihr ganzes Leben darin, immer weiter in Richtung Norden zu gelangen. Je weiter man nach Norden kam, umso weniger Fragen wurden einem gestellt. Ihre Kindheit hatte sie in
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