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Paul ohne Jacob

Paul ohne Jacob

Titel: Paul ohne Jacob
Autoren: Paula Fox
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das Gesicht hin, als strecke er Paul einen Blumenstrauß entgegen.
    Er hatte dichtes, graues Haar, das er kurz geschnitten trug. Seine braunen Augen lagen in einem Nest aus lauter Fältchen. Er war groß und dünn. Wangen und Kinn waren glatt rasiert und die Haut glänzte. »Ich habe noch meine eigenen Zähne«, sagte Grandpa lächelnd.
    Paul erwiderte das Lächeln. Zwischen ihnen lag ein Gedanke, für den Paul kein Wort fand, ein Gedanke, von dem ein leichtes Surren ausging wie von einer sonnentrunkenen Fliege.
    Bei ihrem Lächeln ging es nicht um etwas Lustiges, sondern um etwas Trauriges.
    Im Wohnzimmer heulte Jacob.
    »Er hat mal wieder seine Brille verloren«, stellte Paul fest.
    »Komm, wir helfen ihm suchen«, sagte Grandpa und ging zur Tür.
    »Ich hab noch nicht fertig gepackt«, sagte Paul.
    Grandpa blieb an der Tür stehen. »W eißt du immer, weshalb er weint?«, fragte er.
    Paul schüttelte den Kopf, aber auf eine Weise, die weder das eine noch das andere besagte.
    Grandpa ging und kurz darauf hörte das Weinen auf. In der Stille, die daraufhin einsetzte, ertappte sich Paul dabei, dass er einen Fußball in einen vollgestopften Karton packen wollte. Ein Gedanke kam ihm in den Sinn: War nicht an Jacob zu denken nur auch eine Art, an ihn zu denken? Bevor er diese Frage in ihrer Bedeutung so ganz erfassen konnte, verschwand sie wieder.
    Mit einem Mal fiel ihm ein Tag ein, an dem er mit Grandpa im Central Park gewesen war. Als sie an einem dunklen Tunnel vorbeikamen, hatte er Grandpa gebeten, ein paar Schritte vor dem Eingang stehen zu bleiben und zu warten. Dann war er in den Tunnel hineingerannt.
    An die Tunnelwand waren mit Farbspray Wörter und skizzenhafte Bilder gesprüht, die er zuerst nicht genau erkennen konnte. Ein modrig-feuchter Geruch erfüllte den Tunnel wie dicker Qualm. Paul war von seinem eigenen Wagemut ganz aufgekratzt gewesen, aber der verließ ihn einige Meter hinter dem Eingang und schlug in Panik um. Und später, als er mit Grandpa im Central Park in den Zoo ging, hatte er das Gefühl gehabt, dass er immer noch lief, dass der grelle weiße Schimmer dieser gesprühten Wörter und Bilder an der Tunnelwand ihn verfolgte.

BRASSTON
     
     
     
     
     
     
    Weil es nun mal so ist, dass die Erwachsenen bestimmen und ein Junge sich unversehens an einem neuen Ort wiederfindet, packte Paul einige Tage danach in einem Zimmer, das irgendwie noch gar niemandem gehörte, Bücher und Spiele aus einem Karton.
    Nachdem die Umzugsleute gegangen waren und Mom und Daddy im Wohnzimmer standen und die Kisten und Kartons betrachteten, die wie für ein schauerliches Weihnachtsfest zu hohen Stapeln aufgetürmt waren, trat Paul durch den Kücheneingang in den Garten hinaus.
    In einem Nachbarhaus bellte ein Hund. An Bäumen, deren Namen er nicht kannte, glitzerten reglose Blätter im Julisonnenschein. Das unkrautdurchwucherte Gras stand hoch.
    Dass man einfach in die frische Luft hinaustreten konnte, war kein Ausgleich für die Schulfreunde, die Paul niemals wiedersehen würde. Aber es war immerhin etwas. Drei Schritte und man war im Freien. Im Lauf der nächsten beiden Monate wurde das Haus allmählich das Zuhause der Colemans. Bücher, Teppiche, Vasen, Partituren, Spiegel und Möbel tauchten nach und nach auf und wärmten die Zimmer, machten sie vertraut.
    Wenn Daddy an den Samstagen nicht in die Tierklinik musste, nahmen sie das Mittagessen mit an den Strand und machten Picknick. Paul liebte die Südküste, das grünliche Meer und das kalte, schaumige Wasser, das ihm gegen die Knöchel schlug. Aber diese Ausflüge schätzte er nicht so besonders.
    Jacob ging wie eine Rakete los, sobald er warmen Sand unter seinen bloßen Zehen fühlte. Er schrie und lachte mit seiner heiseren Plapperstimme, bis alle zu ihnen herüberstarrten, sogar die Leute, die am Rand ihres Badetuchs gleich neben ihrem Kopf ein Radio spielen ließen.
    Paul schlenderte dann den Strand entlang. Allerdings durfte er nicht ins Wasser, wenn er außer Sichtweite seiner Eltern war. Das sah er nicht so recht ein. Er war fast elf.
    Diese Spaziergänge versetzten ihn in Hochstimmung. Er hatte das Gefühl, dass nichts und niemand zwischen ihm und der Luft stand, dem strahlend blauen Himmel und den Möwen, die zum Ufer oder zum Wasser hinabschossen oder, vom Wind getragen, durch die Luft glitten. Manchmal sah er sich um, und wenn er festgestellt hatte, dass er allein war, dann kam es vor, dass er in einer unverständlichen Sprache, die er selbst
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