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Paul ohne Jacob

Paul ohne Jacob

Titel: Paul ohne Jacob
Autoren: Paula Fox
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schläfrig. Sein Kopf baumelte hin und her und sein Mund ging auf. Mom brachte Jacob ins Schlafzimmer, in dem Pauls altes Gitterbett durch ein kleines Sofa ersetzt worden war. Jacob glitt schwerfällig aus ihrem Arm auf die Bettdecke und vergrub sich dann unter ihr wie ein kleines Tier im Wald.
    Daddy wischte die Schweinerei weg, die Jacob mit seiner Geburtstagstorte veranstaltet hatte. Grandpa sagte: »Komm, wir gehen ins Naturkundemuseum«, und Paul lief erleichtert los, um seine Jacke zu holen. Er war heilfroh, aus der Wohnung wegzukommen.
    Im Museum wartete Grandpa, während Paul sich die gewaltigen Tiere ansah, die vor Millionen von Jahren über die Erde gezogen waren.
    Offenbar hatte Grandpa etwas Bestimmtes vor. Sobald Paul mit den Dinosauriern fertig war, führte Grandpa ihn durch eine riesige Halle, in der Elefanten aufmarschierten. Ihre Rüssel waren zu der prächtig verzierten Decke emporgereckt, aber ihr Trompeten war für immer verstummt, so als wäre ihnen ein Zauberer begegnet, der sie in dunkelgrauen Stein verwandelt hatte.
    »Hier!«, sagte Grandpa.
    Paul sah zu einem hell erleuchteten Kreis hoch, der ziemlich trübes Wasser umschloss. Blätter und Äste und Zweige und insektenförmige Wesen trieben darin.
    »Das sind drei Zentimeter Teichwasser, das viele hundert Male vergrößert wurde. Schau auf meine Hand.« Grandpa bildete mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis. »Das sind drei Zentimeter«, sagte er. »Und das hier« – er wies auf das Ausstellungsstück hin – »siehst du, wenn du diese drei Zentimeter durch ein Mikroskop betrachtest.«
    »Das ist wie ein ganzer, kleiner Teich … ein richtiger kleiner Ort«, sagte Paul.
    »W elten innerhalb von Welten«, stellte Grandpa fest. »Je länger du hinschaust, desto mehr siehst du.«
    »W enn man einen von den Zweigen so vergrößert, findet man vielleicht einen ganzen Baum mit vielen Käfern vor«, sagte Paul.
    »Ich glaub schon«, sagte Grandpa.
    Als Paul am Abend im Bett lag und den Tag Revue passieren ließ, erinnerte er sich ganz besonders an zwei Sachen.
    Eine davon war das vergrößerte Teichwasser. Er hatte diese drei Zentimeter ausgiebig betrachtet, und danach hatte er in allem, was er sah, etwas Geheimnisvolles entdeckt: in den Gesichtern von Menschen, an den Vögeln, die gegenüber vom Museum über den Central Park flogen, in den Blüten der Bäume.
    Nach einer Weile ließ das jedoch nach und ihm blieb nur noch die zweite Sache. Die bestand darin, dass er irgendwie reingefallen war, als er Jacob, der in seine Geburtstagstorte kroch, zum Kotzen gefunden hatte. Es war nicht nur, dass Daddy ihn so scharf zurechtgewiesen hatte. Einen Augenblick lang hatte Paul vergessen, dass er Jacob vergessen wollte und das schon ganz gut gelernt hatte.

UMZUG
     
     
     
     
     
     
    Mrs Coleman gab jetzt wieder an zwei Nachmittagen in der Woche Klavierunterricht. Während dieser Zeit kam Josh, ein College-Student mit üppigem Bart und spärlichen Haaren, und passte auf Jacob auf.
    Josh war klein und mager. Wenn er Paul in der Wohnung begegnete, sagte er: »Hi, Mann.«
    Es war, als lugte ein kleines Tier, ein Dachs oder ein Biber, aus einem Dickicht hervor und begrüßte ihn. Bei gutem Wetter ging Josh mit Jacob auf einen Spielplatz in der Nähe. War das Wetter schlecht, las Josh Jacob in Pauls Zimmer vor oder er las in seinen eigenen Büchern, während Jacob mit einem Malstift über ein Blatt Papier fuhr oder vor sich hin sang.
    Josh sah wie ein müder Langstreckenläufer aus. Mom sagte, das käme daher, dass Josh mehrere Jobs hatte, um die Collegegebühren zu finanzieren.
    Paul mochte ihn nicht. Als er am ersten Nachmittag gekommen war, hatte Paul ihn gleich ermahnt, Jacob in seinem Zimmer nichts anfassen zu lassen.
    »W ow, Mann!«, sagte Josh. »Das klingt ja so, als wär’s ein ehernes Gesetz, das schon galt, bevor die Pilgerväter an Plymouth Rock landeten! Aber ich weiß, wie dir zumute ist. Ich hab auch einen jüngeren Bruder, der dauernd an meine Sachen geht und mich zum Wahnsinn treibt!«
    Josh konnte nicht wissen, wie Paul zumute war. Davon hatte er keine Ahnung. Jacob war nicht einfach nur ein kleiner Bruder. Er hatte einen Konstruktionsfehler.
    Manchmal kam Gloria, eine Physiotherapeutin, die Jacob dabei helfen sollte, seine Bewegungen besser zu koordinieren. Sie hüpfte wie ein Gummiball durch die Tür herein und küsste Jacob oben auf seine Zottelhaare. Dann lachte Jacob, bis er umkippte – er war so leicht zu erfreuen. Man brauchte ihm
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