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Kirschroter Sommer (German Edition)

Kirschroter Sommer (German Edition)

Titel: Kirschroter Sommer (German Edition)
Autoren: Carina Bartsch
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KAPITEL 1
    Emely?
    Es war jedes Mal dasselbe: Entweder die Zeit war von vornherein mein Feind oder einer meiner Mitmenschen machte mir bei dem kläglichen Versuch, wenigstens einmal im Leben pünktlich zu sein, einen Strich durch die Rechnung. Heute jedoch sollte ich ausnahmsweise Glück haben. Ich hetzte vom Unigelände, sah den Bus an der Haltestelle einfahren, rannte auf ihn zu und schaffte es in letzter Sekunde, mich durch die Türen zu zwängen.
    Es kam nicht oft vor, dass die Berliner Verkehrsbetriebe und ich derart gut aufeinander abgestimmt waren. Wir teilten einen ausgeprägten Hang zur Unpünktlichkeit, lebten diesen in der Regel allerdings leider zu unterschiedlichen Zeiten aus. Ich nahm mir vor, ein Kreuz im Kalender zu machen, passierte eine ältere Frau, die sich mit den Händen an ihrer Handtasche festklammerte, und ließ mich erleichtert auf den Sitz hinter ihr fallen. Der Bus fuhr an und nach wenigen Metern meldete sich auch meine gute Laune zurück. Der Grund dafür war Alexandra, meine beste Freundin seit dem Kindergarten. Wir hatten uns schon eine gefühlte halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen – drei lange Monate.
    Hätte mir als Kind jemand gesagt, dass sich unsere Wege, zumindest räumlich, eines Tages trennen würden, ich hätte es nicht geglaubt. Doch war genau das nach unserem Schulabschluss eingetreten. Alex entschied sich, in München Kunst zu studieren, ich hingegen begann mein Studium fast sechshundert Kilometer von ihr entfernt in Berlin.
    Das war jetzt drei Jahre her und die Trennung war alles andere als leicht gewesen. Die enorme Distanz schloss spontane Treffen aus, lediglich in den Semesterferien und an Feiertagen, die wir in unserem kleinen Heimatort Neustadt verbrachten, bekamen wir uns zu Gesicht. Ansonsten blieben uns nur Telefon und E-Mails. Dennoch hatte mir Alex jeden Tag gefehlt. Es war einfach etwas anderes, nur ab und zu ihre Stimme zu hören, anstatt sie leibhaftig vor mir zu haben. Andauernd war sie früher um mich herum gewuselt, hatte morgens den Mund geöffnet und ihn vor dem Abend nicht mehr geschlossen.
    Ich musste schmunzeln, wenn ich daran dachte, wie oft mich ihre unermüdliche Redseligkeit an den Rand des Wahnsinns getrieben hatte. Aber mittlerweile, so blöd es klang, vermisste ich genau das.
    Deshalb war die Nachricht, die sie mir vor zwei Wochen verkündet hatte, das schönste Geschenk gewesen, das sie mir hätte machen können: Alex zog zu mir nach Berlin.
    Schon seit längerem war sie mit ihrem Kunststudium unzufrieden gewesen, weil es nicht unbedingt mit ihren Vorstellungen übereingestimmt hatte. Als sie dann eines Abends nach Hause gekommen war und ihren jetzigen Ex-Freund mit ihrer Zimmernachbarin im Bett vorgefunden hatte, war ihr die Entscheidung, das Studium endgültig abzubrechen, nicht mehr wirklich schwer gefallen.
    Die meisten Menschen hätten sich vermutlich erst einmal in ein tiefes Loch verkrochen, doch Alex wäre nicht Alex, wenn sie sich dauerhaft hätte unterkriegen lassen. Bereits zwei Wochen später stand sie wieder auf den Beinen und brütete einen Plan B aus. Inzwischen bezeichnete sie den unschönen Vorfall mit ihrer Zimmernachbarin sogar als Wink des Schicksals, was mich einmal mehr über ihr Talent staunen ließ, sich die Wirklichkeit nach ihren Maßstäben zurechtzubiegen. Aber genau dafür liebte ich sie. Ihr neues Steckenpferd war Modedesign. Eine Erleuchtung, die sie überkommen hatte, als sie die Augen geschlossen und tief in sich hinein gehört hatte, wie sie sagte. Alex war für ihre schnell wechselnden Hirngespinste bekannt, doch dieses Mal konnte selbst ich ihr nicht widersprechen. Dieser Studiengang schien ihr tatsächlich wie auf den Leib geschneidert zu sein.
    Sie hatte sich ausschließlich an Hochschulen in Berlin und Umgebung beworben und war von zweien angenommen worden. Die eine lag direkt im Zentrum, die andere war keine geringere als meine. Sie hatte nicht lange überlegen müssen, welche sie wählte.
    Man könnte also sagen, es war fast alles perfekt – wobei die Betonung auf »fast« lag. Denn die Sache hatte ein gewaltiges Manko: Alex würde sich keine eigene Wohnung nehmen, sondern bei ihrem knapp zwei Jahre älteren Bruder Elyas einziehen.
    Dessen Mitbewohner war vor kurzem ausgezogen und das freigewordene Zimmer hatte Alex gleich für sich in Beschlag genommen.
    Es lag Jahre zurück, dass ich Elyas zum letzten Mal gesehen hatte, und sagen wir so, ich war nicht unbedingt traurig darüber. Nur am Rande hatte ich
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