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Paul ohne Jacob

Paul ohne Jacob

Titel: Paul ohne Jacob
Autoren: Paula Fox
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einige der Gesichter heranging, die er so gut kannte, von Kindern, mit denen er zusammen in die Klasse ging, seit er vor sechs Jahren in die Vorschule gekommen war, dann krampfte sich sein Herz in der Brust zusammen.
    Diesen Kindern machte er Versprechungen, dass er im Herbst in die Stadt kommen würde, an den ersten Septembertagen, bevor die Schule wieder losging. Dann wollte er sie besuchen. Aber irgendwie wusste er, dass er die Freunde wohl nie mehr sehen würde.
    »Erzähl mir von eurem neuen Haus«, bat Grandpa ihn am Anfang der letzten Woche, die sie noch in der Wohnung waren. Allmählich bekam sie Ähnlichkeit mit allen anderen leeren Dreizimmerwohnungen in der Stadt.
    Grandpa lehnte sich an Pauls Kommode und sah zu, wie er seine Sachen in zwei große Pappkartons packte.
    »Es ist einfach nur ein Haus. Man kann zu Fuß nach draußen. Keine Fahrstühle«, sagte Paul.
    »Gibt es dort nicht auch etwas Schönes?«, fragte Grandpa drängend.
    Paul dachte nach. »Den Treppenabsatz«, sagte er nach einer Weile. »Nach dem zweiten Stock macht die Treppe einen Bogen. Und dort, wo sie abbiegt, gibt es eine Art Plattform und ein rundes Fenster mit bunten Scheiben.«
    »Und dein Zimmer?«
    »Geht so«, sagte Paul. »Zum Haus gehört noch ein großer Garten mit Bäumen und Sträuchern und einem Vogelbad; das leckt zwar, aber Daddy will es wieder zusammenflicken. Ich kann’s von meinem Zimmer aus sehen.«
    »Und die Küche? Ist sie so groß, dass man darin essen kann?«
    »Es gibt ein Esszimmer«, sagte Paul.
    »Jacob bekommt jetzt sein eigenes Zimmer«, sagte Grandpa nachdenklich.
    Dazu sagte Paul nichts. Wieso fragte Grandpa ihn überhaupt nach dem Haus, wenn Mom oder Daddy es ihm doch bestimmt schon beschrieben hatten?
    Als hätte er Pauls Gedanken gehört, sagte Grandpa: »Ich wollte deine Sichtweise erfahren.«
    »Mir gefällt die Tierklinik, in der Daddy arbeiten wird«, sagte Paul. »Er hat mir gesagt, dass sie vor langer Zeit mal ein Bauernhof war. Es gibt eine große Wiese mit Wald dahinter und einen Parkplatz unter einem Kastanienbaum.«
    »Es wird sich vieles verändern«, stellte Grandpa fest.
    »Und das alles nur, weil Jacob mehr Platz braucht«, sagte Paul.
    »Ihr alle braucht mehr Platz«, sagte Grandpa.
    Selbst Grandpa gegenüber wurde Paul die Kehle eng, wenn Jacob erwähnt wurde. Er hustete.
    »Hier, nimm einen von den sauren Drops«, sagte Grandpa und reichte ihm ein grünes Bonbon.
    Es stimmte zwar, dass Paul von Monat zu Monat besser darin wurde, nicht an Jacob zu denken. Aber ihm fiel auf, dass er noch etwas anderes gelernt hatte: Er merkte es jetzt immer, wenn Mom, Daddy oder Grandpa wollten, dass er an Jacob dachte. Damit hatte er nicht gerechnet.
    Freundliche Gedanken, sagte er sich spöttisch.
    Eine Weile lutschte er an dem Bonbon. Dann überlegte er, wie viel er noch in den Karton stopfen konnte, und nachdem er noch ein weiteres Buch hineingequetscht hatte, stellte er eine Frage, die ihn sehr beschäftigte: »W ie werden wir uns sehen, Grandpa?«
    »Ich fahre gern mit der Bahn«, gab sein Großvater zurück. »Es wird mir ein Vergnügen sein, nach Brasston zu fahren, wenn der Zug pünktlich ist. Dein Daddy hat gesagt, dass es im ersten Stock von eurem Haus ein kleines Zimmer gibt, in dem sich ein Bett aufstellen lässt, damit ich dort übernachten kann. Dann bringe ich natürlich Lindy mit, in seinem Katzenkorb. Später wirst du in die Stadt kommen und mich auf eigene Faust besuchen können.«
    »Schreibst du mir?«, fragte Paul. Ihm war aufgefallen, dass Grandpas Briefe längst nicht mehr so oft kamen wie früher.
    Grandpa hielt ihm die Hände hin und streckte die Finger aus. »Ich habe Arthritis«, sagte er.
    Paul berührte das dick geschwollene Gelenk des Daumens.
    »Ist das Arthritis?«, fragte er.
    Grandpa nickte.
    »Tut das weh?«, fragte Paul.
    »Ja, aber manchmal geht die Arthritis wieder weg. Bei Regen und schwülem Wetter kommt sie wieder. Normalerweise denke ich gar nicht daran, nur beim Briefeschreiben oder wenn ich Manschettenknöpfe vom Boden aufheben muss – die flutschen mir durch die Finger. Aber du bist ja schon zehn und wirst bald elf. Jetzt können wir lange Telefongespräche führen.«
    Ein Schauer durchlief Paul, obwohl die Luft voller Juniwärme war. Neues Haus, neue Schule, ein neuer Ort und ein neuer Gedanke: Grandpa war nicht einfach nur alt. Er wurde mit jedem Tag, mit jeder Minute des Tages älter.
    Paul wurde bewusst, dass er Grandpa anstarrte. Und Grandpa hielt ihm
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