Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paul ohne Jacob

Paul ohne Jacob

Titel: Paul ohne Jacob
Autoren: Paula Fox
Vom Netzwerk:
Geschichte, die ich dir erzählen will.«
    Jacob setzte sich auf und lächelte. »Grandpa hat eine Geschichte«, flüsterte er.
    Paul hörte den überredenden Tonfall aus Grandpas Stimme heraus. Man hätte schön blöd sein müssen, um nicht zu kapieren, was los war. Grandpa trat als Bittsteller auf, damit Jacob kein Geheul und Geschrei veranstaltete.
    Es gefiel Paul nicht, dass Grandpa so etwas machte. In seinem Kopf marschierten Argumente wie lauter Soldaten auf und machten sich dazu bereit, gegen Grandpa vorzurücken, ihn zurechtzuweisen.
    Grandpa bückte sich nach dem Pfirsich und gab ihn Jacob.
    »Pa, der Film ist ziemlich traurig. Ich glaub nicht, dass Paul schon so weit ist«, sagte Daddy.
    Grandpa sah Paul an. »Er kennt sich mit traurigen Dingen aus«, sagte er.
    Etwas Seltsames geht hier vor sich, dachte Paul. Grandpa widersetzte sich seinen Eltern sonst nie, aber diesmal tat er es. Bei den Ausflügen, die er mit Paul unternommen hatte, bei den Gesprächen, die sie von Pauls frühester Kindheit an geführt hatten, war es immer um Dinge gegangen, die jenseits des Bestimmungsrechts seiner Eltern lagen. Wie die drei Zentimeter vergrößertes Teichwasser waren sie Teil einer größeren Welt gewesen.
    Dann zuckte sein Großvater mit den Schultern und gab nach. »Nun ja … Wenn du nicht möchtest, dass wir ins Kino gehen …«
    »Ich will den Film sehen«, sagte Paul, schmetterte es wie eine Verlautbarung hervor.
    »W enn man bedenkt, was er im Fernsehen alles sieht …«, sagte seine Mutter leise.
    »Na gut«, sagte Daddy.
    Grandpa rief im Kino an und erkundigte sich, wann der Film anfing. Als sie sich auf den Weg machten, um die sieben Häuserblocks bis zum Zentrum von Brasston zurückzulegen, hatte das Sommergewitter schon nachgelassen. Aus dem Regen war ein feines Nieseln geworden.
    »La Strada heißt ›Die Straße‹«, erklärte ihm Grandpa. »Damit ist nicht einfach nur eine Straße gemeint. Das sagen Schauspieler und Zirkusleute, wenn sie auf Tour gehen. Sie ziehen in Städte und Dörfer, die Leute versammeln sich um sie und die Schauspieltruppe gibt eine Vorstellung. Der Film handelt von zwei Menschen, einem Jahrmarktsartisten, der als starker Mann auftritt, und einem kleinen Dorfmädchen, das er ihrer Familie abkauft. Das heißt aber nicht, dass sie nicht gern mit ihm gegangen wäre! Und der Film erzählt von ihren Abenteuern auf der Straße.«
    Paul hörte nicht zu. Er grübelte über den Spaziergang nach, den Grandpa Jacob versprochen hatte.
    »W o willst du mit ihm hin?«, fragte er, als sie an dem gelben Backsteingebäude der Bücherei vorbeigingen.
    Grandpa antwortete nicht gleich. Inzwischen waren sie beim Kino angekommen und er kaufte ihre Eintrittskarten bei einer alten Frau, die in einer Glaskabine saß.
    Dann gingen sie durch die Eingangshalle und Grandpa wandte sich Paul zu. »Du kannst mitkommen, wenn du magst«, sagte er zu Pauls Verblüffung. »Jacob würde sich freuen.«
    »Ich will nicht mit!«, platzte Paul gerade in dem Augenblick heraus, als sie an einem älteren Herrn vorbeigingen, der ihnen die Eintrittskarten abnahm. Er sah sie erschrocken an.
    »In Ordnung«, sagte Pauls Großvater freundlich und sie gingen im Schummerlicht des Kinos durch den Gang. In den Reihen saß nicht mehr als ein Dutzend Leute. Die Hitze des Tages verdichtete sich hier und die Luft roch nach ranziger Butter vom Popcorn, von den leeren Tüten, die, von Pauls und Grandpas Füßen weggeschubst, über den Boden kullerten.
    Das Licht des Filmvorführungsgeräts ging an. Auf der schwarzen Leinwand erschienen die Worte: La Strada.
    »Das ist ja gar kein Farbfilm«, flüsterte Paul.
    »Davon wirst du schon bald nichts mehr merken«, sagte Grandpa.
     
    Auf dem Heimweg kamen Paul und Grandpa an einem Limonadenstand vorbei, der aus ungehobelten Brettern bestand. Zwei leere Einwegbecher warfen lange Schatten auf das Holz. Hinter dem Stand stützten zwei kleine Mädchen ermattet das Kinn in die Hände und starrten wie welkende Blumen auf die dunkelgrüne Stille der Straße hinaus. Vom Fenster eines gelben Hauses, das auf einer kleinen Anhöhe hinter ihnen stand, rief jemand nach ihnen. »Mira! Kira! Macht den Laden dicht! Abendessen!«
    Im Film war alles heruntergekommen und grau und grimmig gewesen. Paul schaute zum Gesicht seines Großvaters hoch. Auch das sah grau und grimmig aus.
    Als er über den Film nachdachte, bekam Paul immer mehr das Gefühl, er hätte eine Predigt in der Kirche gehört und gesehen. Und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher