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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher
Autoren: Rena Dumont
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heraus wie aus einem Vulkan.
    »Hören Sie, bevor Sie anfangen, mir irgendwelche Fragen zu stellen, will ich Ihnen etwas sagen.«
    Es ist mir peinlich, was ich da gerade abziehe. Nicht des Themas wegen, das kann ich durchaus ernsthaft vertreten, aber meine Stimme zittert, rutscht hoch in die Kehle, verwandelt mich in Barbie und ist überhaupt nicht zu verstehen. Sie piepst, so wie ich es bei anderen Frauen verabscheue. Hysterisch eben. Auf diese Art und Weise will ich auf keinen Fall mein Herzensanliegen vortragen! Kindisch, inkompetent und unsicher. Ich bin ein idiotisches Würstchen. So erreiche ich nichts! So schicken sie mich zurück und meine Mutter auch. Ab nach Pùerov. »Ich … ich … meine … ich, meine Mutter …«
    Bitte keine Heulsusennummer, murmele ich, wie ein Mantra, aber keines meiner Organe kümmert das! Je mehr ich versuche, streng mit mir zu sein, umso mehr flenne ich. Umso mehr werde ich zum armen tschechischen Opfer, das noch mehr Prügel erwartet, als es ohnehin schon bekommen hat. Das will ich nicht. Ein Opfer ist passiv. In Passivität zu verfallen würde heißen, sie können mit mir anstellen, was sie wollen.
    Nichts geht. Ich löse mich auf. Wie ein Eiswürfel in der Sonne. Wie ein Rauchwölkchen.
    »Ich muss dringend mit Ihnen sprechen.«
    »Bitte«, fordert mich der Dolmetscher schwerfällig auf. Dann übersetzt er dem jungen blonden Beamten den Satz ins Deutsche und streicht sich mit seiner verquollenen Hand die wenigen Haare aus der Stirn. An seinen hochgezogenen Stirnfalten kann ich erkennen, dass er auf meinen Zirkus, ich kann es nicht anders nennen, bewegt reagiert, obwohl er keine Ahnung hat, worum es geht. Interessant. Ich nehme einen zweiten Anlauf.
    »Es muss Ihnen ein Fehler unterlaufen sein.«
    Wie schön, dass ich mich auf Tschechisch ausdrücken kann. Wie schön es ist, Informationen, Gedanken und Gefühle in der Muttersprache erklären zu dürfen, statt sich in diesem banalen Infinitivkauderwelsch mitteilen zu müssen, das zu ständigen Missverständnissen führt. »Ein schrecklicher Fehler ist passiert. Sie, Sie haben meine Mutter vergessen. Sie haben meine Mutter einfach außer Acht gelassen, sie da draußen in der Menge stehen lassen, Sie trennen eine Familie!«
    »Moment«, sagt der Dolmetscher und zeigt mir seine Handflächen.
    »Ich habe doch niemanden mehr als meine Mutter! Bitte, bitte, unternehmen Sie doch etwas, lassen Sie sie doch rein, lassen Sie sie nicht da draußen stehen! Es wird sicherlich irgendwie möglich sein, sie reinzulassen. Wenn man nur will! Seien Sie ein Mensch. Bitte! Was soll ich hier ohne meine Mutter!«
    »Wo ist denn Ihre Mutter?«
    Der dünne Beamte quatscht ebenfalls auf Deutsch dazwischen. Ein Chaos von drei durcheinandersprechenden Menschen droht zu entstehen.
    »Draußen! Sie wartet draußen, ganz allein!«
    »Was geht denn hier vor?«, fragt wahrscheinlich die Bohnenstange auf Deutsch. Der Dolmetscher zeigt dem Beamten erneut seine Handflächen, offenbar seine Lieblingsgeste. Er trinkt, das sehe ich, keine Falten sind zu sehen, so aufgeschwemmt ist er. Oder er schluckt eine Menge Medikamente. Auch möglich.
    »Warten Sie, Herr Kratzmann, ich werde es Ihnen sofort erzählen, ich bin doch selber noch nicht schlau geworden aus der ganzen Geschichte«, antwortet er vermutlich. »Und wieso ist Ihre Mutter nicht mitgekommen?«, wendet sich der Dolmetscher in einem Ton an mich, als könnte ich nicht bis drei zählen.
    »Wieso?! Das weiß ich doch nicht? Das müssen Sie doch wissen! Fragen Sie den, der neben Ihnen sitzt!«, schreie ich hysterisch.
    »Machen Sie mal halb lang. Das werde ich lieber nicht übersetzen. Ist sie nicht ins Gebäude mit reingekommen? Ihre Mutter? Weshalb?«
    »Herr Potocky, um was geht es denn?«, fragt Herr Kratzmann.
    Er täuscht Autorität vor, wenn auch unglaubwürdig. Die Nervosität seiner Finger bemerkt selbst ein Blinder. Der Bleistift in seiner Hand zittert, und das Gesicht glänzt.
    »Moment, bitte«, antwortet der Dolmetscher streng.
    »Sie wurde nicht eingeladen!«, schreie ich.
    »Beruhigen Sie sich, beruhigen Sie sich. Das werden wir klären.«
    Er wendet sich an den jungen Beamten, der schon ungeduldig auf die Übersetzung wartet. Dabei streckt er wie ein Schwan den Hals in die Länge, um einen besseren Überblick zu haben oder weiß der Geier weshalb. Komischer Kauz.
    Ich warte, schluchze immer wieder, es schüttelt mich, ich habe mich nicht mehr im Griff. Herr Kratzmann hört gespannt zu, zuckt mit
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