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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher
Autoren: Rena Dumont
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den Achseln, spricht ein paar für mich unverständliche Sätze zu dem Dolmetscher und schaut mich an. Normalerweise wäre mir jetzt zum Lachen. Seine Brille ist dick und die Augen dahinter wie zwei Kürbisse.
    »Herr Kratzmann kann da leider nichts machen. Erstens ist es sein erster Arbeitstag hier, Sie können sich wohl vorstellen, dass er sich mit derart unüblichen Zwischenfällen noch nicht auskennt, und zweitens, wenn sie nicht eingeladen wurde, wird es schon seine Richtigkeit und Gründe haben, ich weiß nicht, was Ihre Mutter für eine Vergangenh…«
    »Richtigkeit?«
    Meine Galle kocht, und das Herz schrumpft auf Zwetschgengröße zusammen. »Dass Sie sich nicht schämen und Ihr deutscher Kollege mit Ihnen! Richtigkeit! Was soll denn das für eine Richtigkeit haben, eine Familie zu trennen, Mutter und Tochter auseinanderzureißen? Menschen unglücklich zu machen! Er soll sich seinen ersten Tag in den Arsch stecken! Er soll auf der Stelle seinen Hintern bewegen und Mutters Unterlagen raussuchen. Dass Sie sich nicht schämen!«
    »Moment, junge Dame. Wenn ich das übersetze, dann können Sie gleich nach Hause fahren, und zwar mit Ihrer Mutter zusammen.«
    »Ich werde noch irre hier!«, schreie ich erneut.
    »Sie hätten die ganze Emigration nicht auf sich nehmen müssen, damit hätten Sie rechnen müssen, Frau Hrózová.«
    »Worum geht es jetzt, Herr Potocky«, mischt sich der Ersttagsbeamte ein. Seine überdimensionalen blauen Augen sind kurz davor, aus ihren Höhlen herauszufallen. Dann müsste man sie schnell einsammeln und wieder an ihren Platz zurückdrücken, damit die feinen Verbindungen hinter den Augäpfeln wieder zusammenfinden und nicht absterben …
    »Moment, Herr Kratzmann!«, antwortet der Dolmetscher in einem noch schärferen Ton. Der Beamte schweigt sofort.
    »Lieber Herr Dolmetscher, oder wie Sie heißen, ist das Ihre Antwort? Wo Sie im warmen Westnest sitzen? Im sicheren Nest, direkt an der Quelle? Hier macht es Spaß, die Haare fettig werden zu lassen, oder? Sie sitzen an einem Ort, den Sie sich selbst ausgesucht haben … und gönnen es den anderen nicht? Erzählen Sie mir was von Ihrer Richtigkeit! Sie sind doch selbst Tscheche!«
    »Das entscheide doch nicht ich, oder wir«, sagt der Dolmetscher und zeigt auf die Bohnenstange. »Wer zum Verhör eingeladen wird und wer nicht. Und lassen Sie bitte meine Haare aus dem Spiel.«
    »Wer entscheidet das? Kohl? Der Papst?«
    Mir ist klar, dass ich jetzt aufs Ganze gehen muss. Ich spiele ein gewagtes Spiel: Ich werde meine dilettantische Schauspielkunst anwenden. Es muss etwas passieren, womit ich die zwei Typen in die Bredouille bringe.
    Während der junge Beamte erneut dazwischenredet, ich verstehe nichts von dem, was er sagt, erhebe ich mich mit leidendem Blick vom Stuhl, schreie kurz auf und falle theatralisch in Ohnmacht. Natürlich nur zum Schein. Ich gleite elegant am Stuhl hinunter, wie es die Stars in den Hollywood-Filmen zelebrieren, ich habe es vor dem Spiegel geübt, und lande auf dem schmutzigen grauen Teppich. Gott sei Dank haben sie hier einen Teppich, das macht den Aufprall nicht ganz so unangenehm. Ich strecke mich im letzten Moment aus, damit die Position länger auszuhalten ist, denn so etwas kann auf die Dauer körperlich äußerst anstrengend sein. Meine Zuschauer sollen allerdings nicht auf den Gedanken kommen, ich wäre Epileptikerin, das wäre mir zu kompliziert, und ich habe keine Lust, den fettigen Gürtel des Herrn Potocky zwischen meinen Zähnen zu lutschen, des Beißkrampfs wegen. Also Entspannung statt Starre. Ich schließe die Augen. Den Geräuschen nach springen die Herrschaften energisch auf und bücken sich über meinen leblosen Körper. Panik bricht aus, und ich freue mich maßlos.
    »Holen Sie doch ein nasses Tuch, Herr Kratzmann. Stehen Sie doch nicht rum wie Piksieben!«, sagt möglicherweise der Dolmetscher, während er auf mich einredet und sanft meine Wangen klopft.
    Ein beißender Schweißgeruch dringt mir in die Nase, die Zähne hat er sich auch lange nicht geputzt, jetzt heißt es durchhalten. Die Stimmen der beiden sind aufgeregt und hektisch.
    »Ich hole Hilfe!«, sagt Herr Kratzmann und verschwindet in einen anderen Raum. Das gefällt mir nicht.
    Was mache ich jetzt? Wie geht der zweite Akt des Dramas? Hoffentlich holt der dünne Idiot nicht einen Arzt, für den es ausreichen würde, meine zittrigen Augenlider zu heben und sich die Pupillen anzuschauen, um sofort zu erkennen, dass da eine schlechte
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