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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher
Autoren: Rena Dumont
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Liebesgeschichte mit Pavel ist mir mittlerweile egal, ich liebe diesen Jungen längst nicht mehr. Falls Mutter und ich zurückkehren müssen, was gut sein kann, möchte ich ihn gar nicht sehen. Wir werden auch nicht nach Pùerov gehen, die Schmach ersparen wir uns. Wir werden uns in Prag niederlassen, von null anfangen, trotz der schlechten Startvoraussetzungen, die mich und meine Mutter erwarten. Irgendwie wird es weitergehen.
    Trubka, meine Cousine, hat mit ihren siebzehn Jahren noch keinen Traummann gefunden. Angeblich ist sie nach ihrer letzten Abtreibung depressiv geworden. Ich habe wenig Kontakt zu ihr, sie wechselt ständig den Wohnort, wie ich von Jarek und Maria erfahre, hat kein Telefon und ist auch sonst nicht zu erreichen. Mal arbeitet sie als Kellnerin, mal als Bardame, sogar als Stripperin soll sie es versucht haben, mit wenig Erfolg. Sie ist zu pummelig.
    Der Einzige, mit dem ich regelmäßig im Kontakt bin, ist Radek. Mein Roma-Liebhaber aus Brünn, mein Breakdancer, den ich mal bei einem Tanzturnier kennengelernt habe. Irgendwie verstehe ich mich mit ihm besser als mit meinen »besten Freunden«. Ich mag seine freien Ansichten. Kleinkariertheit, Spießbürgerlichkeit, Neid, die unüberwindbare Konsumsucht, die Pavel, Drobina, Trubka & Co beherrschen, schrecken ihn genauso ab wie mich. Und wenn ich mir das so klarmache, stelle ich fest, dass mich meine Reise nach Deutschland, der ganze Kapitalismus, die Habgierwelt, zum wahren Kommunisten gemacht hat. Ja! Aber nicht zu so einem korrupten, verlogenen Kommunisten, wie er im Osten zuhauf zu finden ist, sondern zum wahren, menschenliebenden Kommunisten. Dafür musste ich nach Deutschland fliehen, meine Heimat verlassen, um zu erkennen, dass ich eine Kommunistin bin? Ich denke unangenehm selbstverliebt.
    Ich will nicht behaupten, dass meine jungen Kameraden aus Pùerov dumm sind, nein, sie überspringen einfach eine große und lange Phase des Reifeprozesses, des Überlegens, Innehaltens. Sie sind viel zu schnell erwachsen geworden. Sie haben keinen festen Boden unter den Füßen, keine Zeit, sich auszuruhen, auszuprobieren, sich selbst kennenzulernen. Sie sind mit den ernsten Lebensaufgaben so früh konfrontiert, weil sie es anders gar nicht kennen oder gelernt haben, weil sie es von Anfang an so wollten, genau wie ihre Eltern. Niemand findet es zu früh, mit achtzehn zu heiraten, mit neunzehn das erste Kind in die Welt zu setzen, mit einundzwanzig das zweite, sich mit zweiundzwanzig das erste Mal scheiden zu lassen, mit dreiundzwanzig einen anderen Partner zu haben, mit fünfundzwanzig Gedanken im Kopf, als wäre man ein Rentner. Mit dreißig sehen die Frauen und Männer schlaff, müde und fahl aus. Ohne Saft.
    Und die Erfüllung des Lebens? Der graue Škoda steht vor dem Haus der Siedlung, und man ist stolz, dass er keine Rostflecken aufweist. Das farblose Haus wartet auf einen neuen Anstrich, denn dann werden alle glücklich sein. Schade nur, dass es momentan keine Farbe für Hausfassaden gibt. Die Urlaube in der DDR und am Balaton werden auch auf die immer gleiche Art verbracht, aber eigentlich träumt man von Jugoslawien. Die Kinder tragen die gleichen hautfarbenen Badehosen, aber wenn Mami genug Kontakte hat, sieht das Ärschlein mit einer gelben Badehose viel besser aus. Und weil alles immer gleich ist, häufen sich wahrscheinlich die Scheidungen. Weil man nicht genug kaufen kann. Weil der Škoda grau ist. Weil die DDR ein langweiliges Land ist und weil sich niemand eine gläserne Villa leisten kann.
    Mama paniert weiter, ich mische den Kartoffelsalat, der nie aufgegessen wird. Ich liebe die Atmosphäre des Weihnachtsessens. Ich liebe auch die Fischsuppe, die Mama aus dem Kopf des Karpfens kocht, obwohl ich dessen Fleisch nie esse, weil es zu sehr nach Fisch schmeckt. Mutter schimpft dann, weshalb sie überhaupt einen so teuren Karpfen macht, wenn ich nur die Suppe schlürfe. Ich verstehe es auch nicht. Wieso macht sie einen Fisch, wenn mir am besten die Panade schmeckt? Und warum bereitet sie einen Kartoffelsalat, wenn ich hauptsächlich an der Mayonnaise und den Eiern interessiert bin.
    In diesem winzigen, dunklen Zimmer in Königssee freuen wir uns, Weihnachten zu feiern wie jedes Jahr. Wir freuen uns, morgens ein schönes Kleid anzuziehen, den Fernseher einzuschalten und ihn den ganzen Tag laufen zu lassen. Das gehört zu Weihnachten. Eine Tradition. Die schönsten Märchen laufen an diesem Tag. Leider kommen im deutschen Fernsehen unsere
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